Baumgart, F. (Hg.). (2007). Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen - Texte - Arbeitsaufgaben (3. Aufl.). Klinkhardt. S. 25-47

„Die Pädagogik der Aufklärung“

(S. 25–38)


Allgemeiner Überblick über die Epoche der Aufklärung

(Seite 25–27)

Die Aufklärung war eine europäische Bewegung, die im 17. Jahrhundert begann und im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Zentrale Idee war das Vertrauen in die menschliche Vernunft. Die Aufklärer glaubten, dass man mit Nachdenken, Wissenschaft und Bildung die Welt verbessern kann. Sie wollten sich von Traditionen, Vorurteilen und Aberglauben befreien und die Gesellschaft auf rationaler Grundlage neu gestalten.

Besonders wichtig war ihnen die Idee, dass der Mensch lernfähig ist – individuell wie gesellschaftlich. Deshalb hatte die Aufklärung immer auch eine pädagogische Seite: Sie setzte darauf, dass Menschen durch Bildung und Erziehung zu besseren Menschen und die Gesellschaft zu einer besseren Gesellschaft werden kann.

Gesellschaftlicher Hintergrund – Krisen und Umbrüche

(Seite 27–30)

Um die Aufklärung zu verstehen, muss man sich die damalige Gesellschaft anschauen. Sie war noch keine moderne Industriegesellschaft, sondern überwiegend eine Agrargesellschaft, die von Armut, Hunger und Krankheiten geprägt war. Die Produktionsmethoden waren rückständig, die Menschen lebten vor allem auf dem Land, und viele litten unter Seuchen oder Missernten.

Die soziale Ordnung war ständisch: Es gab den Adel, das Bürgertum und die große Masse der Bauern – mit jeweils festgelegten Rechten und Pflichten. Doch diese Ordnung geriet im 18. Jahrhundert zunehmend in die Krise. Immer mehr Menschen passten nicht mehr in diese Strukturen: z. B. Tagelöhner, Arme, Handwerker ohne Zunftzugang. Gleichzeitig entstand eine neue gebildete bürgerliche Schicht – etwa Lehrer, Pfarrer oder Ärzte –, die selbst nicht privilegiert war, aber über Bildung verfügte. Diese Gruppe wurde zum Motor der Aufklärung.

Der „aufgeklärte Absolutismus“ in Preußen

(Seite 30–31)

Der Text beschreibt auch das politische System, in dem die Aufklärung entstand – besonders in Preußen unter Friedrich dem Großen. Obwohl dieser König allein regierte („Absolutismus“), zeigte er Interesse an Bildung und öffentlicher Diskussion. Er erlaubte relativ viel Meinungsfreiheit – solange man gehorchte. Dieser Widerspruch ist typisch für den „aufgeklärten Absolutismus“: Der Staat will die Menschen bilden und verbessern, aber die Macht bleibt beim Herrscher.

Allerdings fehlte es dem Staat an Verwaltungsapparaten – viele Reformen konnten deshalb nicht konsequent umgesetzt werden. Trotzdem war Preußen eines der Länder, in denen die Ideen der Aufklärung vergleichsweise früh Wirklichkeit wurden – etwa durch die Einführung der Schulpflicht.

Welche Rolle spielt Pädagogik in der Aufklärung?

(Seite 31–33)

Die Pädagogik wurde im 18. Jahrhundert zu einem zentrale(n) Instrument gesellschaftlicher Erneuerung. Wenn die Menschheit sich weiterentwickeln soll, dann muss bei den Kindern begonnen werden. Erziehung wurde zur Voraussetzung für Fortschritt, Vernunft und Gerechtigkeit erklärt.

Aber diese neue Bedeutung der Erziehung war auch ambivalent: Sie sollte zwar zur Mündigkeit führen, aber gleichzeitig war sie auch ein Mittel zur Kontrolle. Kinder sollten diszipliniert, angepasst und nützlich gemacht werden. Bildung bedeutete also nicht nur Freiheit, sondern auch Unterordnung unter gesellschaftliche Ziele – z. B. als tüchtiger Arbeiter oder braver Bürger.

Diese Spannung – zwischen Befreiung und Kontrolle – zieht sich durch die gesamte Aufklärungspädagogik.

Die Rolle der Gelehrten und der Gebildeten

(Seite 31–32)

Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung war überhaupt gebildet genug, um an der Aufklärung teilzunehmen – meist Männer aus dem Bürgertum oder dem aufgeklärten Adel. Viele Menschen konnten weder lesen noch schreiben. Für sie blieb Bildung unerreichbar.

Dennoch setzten die Aufklärer auf Volksbildung, besonders durch die Schule. Man wollte die „ungebildeten Stände“ aufklären, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen – und gleichzeitig den Staat stärken. Bildung wurde zum Werkzeug sozialer Integration: Wer gebildet ist, gehorcht besser und fügt sich besser ein.

Zentrale Ideen und Widersprüche der Aufklärungspädagogik

(Seite 33–38)

Die Aufklärungspädagogik verfolgt ein hohes Ziel: den Menschen zu Vernunft und Moral zu erziehen. Pädagog:innen wie Kant, Basedow, Campe oder Trapp sahen die Erziehung als einen Weg, die Menschheit zu verbessern. Doch das Programm war nicht frei von Widersprüchen:

  • Einerseits setzte man auf Vernunft, Freiheit und Selbstständigkeit,

  • andererseits verlangte man Disziplin, Gehorsam und Anpassung.

Beispielhaft dafür ist Kants berühmte Frage: „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“
Das zeigt: Die Aufklärungspädagogik war kein naives Freiheitsprogramm, sondern versuchte, zwischen Autorität und Freiheit zu vermitteln.

Ein weiterer kritischer Punkt ist der Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit: Texte wie die von Campe oder Oest zeigen, dass die Aufklärungspädagogik oft kontrollierend und tabuierend war – vor allem im Umgang mit Sexualerziehung. Diese Schattenseiten führten später zur Kritik als „schwarze Pädagogik“.

Fazit

(Seite 38)

Die Aufklärungspädagogik war ein revolutionärer Versuch, den Menschen durch Bildung zu verbessern – sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Sie prägte das 18. Jahrhundert maßgeblich, blieb aber auch in vielen Punkten theoretisch und widersprüchlich.

Trotz großer Ideale (Mündigkeit, Moral, Fortschritt) wurde die Praxis oft durch gesellschaftliche Grenzen und autoritäre Strukturen eingeschränkt. Nicht alle Versprechen der Aufklärung konnten eingelöst werden. Trotzdem wirken viele ihrer Ideen – etwa das Recht auf Bildung oder das Vertrauen in die Vernunft – bis heute nach.

Kant: Was ist Aufklärung?


Was versteht Kant unter „Aufklärung“? Welche Vorstellung von der Natur des Menschen liegt diesem Programm zugrunde? Warum musste es zur damaligen Zeit revolutionär erscheinen?

(Seite 39)

Immanuel Kant beschreibt Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Damit meint er einen Zustand, in dem Menschen sich nicht trauen, ihren eigenen Verstand zu benutzen, sondern lieber anderen – z. B. Kirche, Staat oder Autoritäten – folgen. Diese Unmündigkeit sei selbst verschuldet, weil es den Menschen oft an Mut und Entschlossenheit fehlt, eigenständig zu denken. Kant vertraut grundsätzlich in die Vernunftfähigkeit des Menschen – er glaubt also, dass der Mensch von Natur aus die Fähigkeit besitzt, sich seines Verstandes zu bedienen. Was ihm aber häufig fehlt, ist der Wille, dies auch wirklich zu tun.

In der damaligen Zeit war dieser Gedanke sehr revolutionär, weil es gesellschaftlich üblich war, sich Autoritäten unterzuordnen – besonders religiösen und staatlichen Institutionen. Kant fordert hier ein neues Denken: Jeder Mensch soll sich zutrauen, selbstständig zu urteilen. Diese Forderung nach selbstständigem Denken war ein Aufruf zur geistigen Selbstbestimmung und stellte damit eine große Herausforderung für die damals herrschenden Machtverhältnisse dar.

Wo liegen nach Kant die individuellen und wo die gesellschaftlichen Ursachen dafür, dass sich die Menschen im Stand der Unmündigkeit befinden?

(Seite 39–40)

Kant unterscheidet zwischen individuellen und gesellschaftlichen Gründen für die Unmündigkeit der Menschen. Auf individueller Ebene macht er vor allem zwei Dinge verantwortlich: Faulheit und Feigheit. Viele Menschen finden es einfach bequemer, sich auf andere zu verlassen – zum Beispiel auf einen Priester, der ihnen sagt, was richtig ist, oder auf einen Arzt, der für sie Entscheidungen trifft. Es ist anstrengend, selbst zu denken, und viele scheuen diesen Aufwand.

Auf gesellschaftlicher Ebene beschreibt Kant eine Art Abhängigkeitsverhältnis, das durch sogenannte „Vormünder“ aufrechterhalten wird. Diese Vormünder – das können Autoritäten wie Geistliche, Beamte oder Machthaber sein – haben ein Interesse daran, dass die Menschen unmündig bleiben. Sie erziehen das „Hausvieh“, wie Kant es provokant nennt, zur Passivität, und machen ihnen gleichzeitig Angst davor, selbstständig zu handeln. So entsteht ein Kreislauf, der die Unmündigkeit aufrechterhält.

Wodurch kann und muss nach Kant der Prozess der Aufklärung vorangetrieben werden? Warum spielt für ihn das »Publikum« eine entscheidende Rolle?

(Seite 40)

Für Kant kann die Aufklärung nur dann vorankommen, wenn die Menschen die Freiheit haben, ihren Verstand öffentlich zu gebrauchen. Diese Freiheit sei „die unschädlichste unter allen Freiheiten“, also ungefährlich für den Staat, aber enorm wichtig für die geistige Entwicklung der Menschen. Der öffentliche Vernunftgebrauch bedeutet, dass man sich als Gelehrter oder Bürger in Diskussionen einbringen darf – z. B. in Zeitungen oder Schriften – und so zur Bildung und Reflexion der Gesellschaft beiträgt.

Das Publikum, also die breite „Leserwelt“, ist für Kant entscheidend, weil es der Raum ist, in dem dieser freie Meinungsaustausch stattfindet. Wenn viele Menschen öffentlich über Ideen diskutieren, sich austauschen und argumentieren, dann entsteht ein kollektiver Lernprozess. Dieser Austausch kann die Gesellschaft als Ganzes weiterbringen. Für Kant liegt also große Hoffnung in der kommunikativen Vernunft und im offenen Dialog – allerdings setzte er voraus, dass das Publikum überhaupt in der Lage ist, solche Diskussionen zu führen. In der Realität seiner Zeit war das oft nur ein kleiner, gebildeter Teil der Bevölkerung.

Erläutern Sie Kants Unterscheidung von privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft. Finden Sie Beispiele dafür.

(Seite 40)

Kant unterscheidet klar zwischen dem öffentlichen und dem privaten Gebrauch der Vernunft. Der öffentliche Gebrauch ist für ihn derjenige, bei dem ein Mensch sich als „Gelehrter“ äußert – also als jemand, der seine Meinung mit der Öffentlichkeit teilt, zum Beispiel in einer Zeitschrift oder bei einem Vortrag. Hier soll die Vernunft uneingeschränkt frei sein, weil nur so die Aufklärung voranschreiten kann.

Im Gegensatz dazu steht der private Gebrauch der Vernunft, der sich auf den Gebrauch innerhalb einer Rolle oder eines Amtes bezieht. Zum Beispiel muss ein Soldat während des Dienstes gehorchen und darf nicht anfangen zu diskutieren – das würde die Ordnung stören. Oder ein Steuerbeamter muss Steuern einziehen, auch wenn er persönlich vielleicht etwas anderes denkt. Kant akzeptiert also, dass es Situationen gibt, in denen man seine Vernunft nicht voll einsetzen kann – aber das dürfe die öffentliche Meinungsfreiheit nicht verhindern.

Ein Beispiel: Ein Lehrer muss im Schulunterricht den vorgegebenen Lehrplan befolgen (privater Vernunftgebrauch). In einem Artikel in einer Fachzeitschrift darf er aber öffentlich kritisieren, wie dieser Lehrplan aufgebaut ist (öffentlicher Vernunftgebrauch).

Welche Rechte muss nach Kant der Staat seinen Bürgern einräumen, damit „Aufklärung“ wirksam werden kann? Welches Bild entwirft Kant vom preußischen Staat seiner Zeit?

(Seite 41)

Kant fordert vom Staat vor allem eines: die Freiheit, öffentlich seine Meinung zu sagen und zu schreiben, also eine Form von Meinungs- und Redefreiheit. Nur unter dieser Bedingung kann sich der Mensch als vernunftbegabtes Wesen entfalten. Der Staat soll keine Denkverbote erteilen, sondern Diskussion und Kritik zulassen.

Interessant ist, dass Kant in seinem Text ein durchaus positives Bild vom preußischen Staat zeichnet, insbesondere von Friedrich dem Großen. Er lobt ihn als Herrscher, der es erlaubt habe, „so viel man will zu räsonieren“ – also öffentlich zu argumentieren und zu denken – solange man gehorcht, wenn es darauf ankommt. Für Kant ist das ein realistisches Modell: politische Ordnung auf der einen Seite, intellektuelle Freiheit auf der anderen. Er sah Preußen deshalb als ein Land, das sich auf dem Weg zur Aufklärung befindet, auch wenn es noch nicht vollständig aufgeklärt sei.

Auch wenn in diesem Text von Erziehung keine Rede ist, lassen sich aus ihm allgemeine Zielsetzungen für eine Erziehung im Sinne der Aufklärung ableiten. Formulieren Sie diese Konsequenzen.

(Seite 41)

Obwohl Kant in seinem Text nicht ausdrücklich über Erziehung spricht, lassen sich wichtige pädagogische Konsequenzen ableiten. Wenn das Ziel der Aufklärung ist, dass jeder Mensch seinen eigenen Verstand gebraucht, dann bedeutet das für die Erziehung: Kinder sollen von klein auf dazu ermutigt werden, selbstständig zu denken. Eine gute Erziehung im Sinne der Aufklärung bedeutet, den Mut zum eigenen Denken zu fördern, Neugier zuzulassen und nicht bloß Gehorsam zu verlangen.

Kant spricht von einem „Zeitalter der Aufklärung“, das durch freies Denken erst möglich wird. Damit wird auch klar: Die Erziehung soll nicht darauf abzielen, dass Kinder einfach bestehende Meinungen übernehmen, sondern dass sie lernen, Dinge zu hinterfragen, zu reflektieren und Verantwortung für ihre Urteile zu übernehmen. Die Fähigkeit zur Vernunft ist nicht angeboren, sondern muss gelernt werden – und das ist Aufgabe der Erziehung.

Kant: Über Erziehung

Was meint Kant mit den „Naturanlagen“ des Menschen, die es durch Erziehung zu entwickeln gilt? Wie unterscheidet sich dieser Begriff vom biologistischen Verständnis individueller Anlagen?

(Seite 42–43)

Kant geht davon aus, dass der Mensch über sogenannte „Naturanlagen“ verfügt – das sind Fähigkeiten, Talente oder Möglichkeiten, die in jedem Menschen grundsätzlich vorhanden sind, aber noch nicht vollständig entwickelt. Diese Anlagen sind wie Keime, die durch Erziehung entfaltet werden müssen. Wichtig ist: Kant meint damit nicht eine festgelegte biologische Veranlagung, wie es etwa moderne Genetik oder ein biologistisches Weltbild tun würden. Er lehnt also die Vorstellung ab, dass der Mensch durch seine Gene bereits vollständig „programmiert“ ist.

Vielmehr sieht Kant im Menschen ein offenes Potenzial, das sich erst durch Bildung und Erziehung zur vollen Menschlichkeit entwickelt. Die Aufgabe der Erziehung ist es, diese Anlagen in vernünftiger Weise zu fördern. Er sieht den Menschen als gestaltbares Wesen, das durch richtige Anleitung zur Vernunft, Moralität und Freiheit geführt werden kann. Damit unterscheidet er sich ganz klar von einem biologistischen Denken, das davon ausgeht, dass der Mensch im Wesentlichen durch seine Natur festgelegt ist.

Welche grundsätzliche, historische Bedeutung erhält eine gelingende Erziehung in den Augen Kants?

(Seite 42–43)

Für Kant ist die Erziehung von zentraler historischer Bedeutung. Er vertritt die Auffassung, dass der Mensch erst durch Erziehung zu dem wird, was er sein kann – nämlich ein freies, moralisches und vernünftiges Wesen. Er schreibt sogar: „Der Mensch ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.“ Damit betont er, dass der Mensch nicht einfach von Natur aus „fertig“ ist, sondern durch Erziehung erst seine menschlichen Fähigkeiten entwickeln muss.

Erziehung ist für Kant aber nicht nur für das Individuum wichtig, sondern auch für die Menschheit als Ganzes. Er ist überzeugt: Wenn Erziehung gelingt, kann die gesamte Menschheit dadurch besser, gerechter und glücklicher werden. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „künftigen glücklichen Menschengeschlecht“. Das bedeutet, dass Kant in der Erziehung einen Motor des geschichtlichen Fortschritts sieht – eine revolutionäre Idee seiner Zeit. Erziehung wird somit zu einer kulturellen Aufgabe mit universeller Bedeutung.

Wie grenzt Kant eine „judiziöse“ Pädagogik von einer nur „mechanischen“ ab?

(Seite 43)

Kant unterscheidet zwischen zwei Formen von Erziehung: der mechanischen und der judiziösen. Eine mechanische Pädagogik folgt keinen klaren Prinzipien oder Zielen. Sie ergibt sich eher zufällig aus konkreten Alltagssituationen – man handelt einfach „aus dem Bauch heraus“ oder nach Erfahrung, ohne sich zu fragen, was wirklich gut oder richtig ist. Solche Erziehung kann kurzfristig wirken, aber sie bleibt oberflächlich und unsystematisch.

Demgegenüber fordert Kant eine judiziöse (also urteilsfähige, durchdachte) Pädagogik. Diese soll auf Vernunft und Prinzipien beruhen. Sie fragt: Was ist das Ziel von Erziehung? Welche Werte wollen wir vermitteln? Welche Fähigkeiten sollen Kinder entwickeln? Nur wenn Pädagogik wissenschaftlich fundiert und bewusst geplant ist, kann sie den Menschen tatsächlich dabei helfen, seine Bestimmung zu erreichen – nämlich ein moralisches und freies Wesen zu werden. Für Kant ist es deshalb notwendig, Erziehung zu einer echten Wissenschaft zu machen.

Welche vier Aufgaben der Erziehung unterscheidet Kant? Erläutere und charakterisiere sie.

(Seite 44)

Kant benennt vier Hauptaufgaben der Erziehung:

  1. Disziplinierung
    Das ist die erste Stufe. Hier geht es darum, die „Tierheit“ im Menschen zu zähmen – also die Triebe, die den Menschen unkontrolliert handeln lassen würden. Disziplin verhindert, dass Kinder anderen oder sich selbst schaden. Sie schafft Ordnung und Gehorsam.

  2. Kultivierung
    Darunter versteht Kant die Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen, z. B. Lesen, Schreiben oder Rechnen. Kultivierung bereitet den Menschen darauf vor, praktisch im Leben zurechtzukommen und nützlich zu sein – aber ohne schon moralisch zu sein.

  3. Zivilisierung
    Hier geht es um das Verhalten in der Gesellschaft – also um gutes Benehmen, Umgangsformen und soziale Intelligenz. Der Mensch soll in der Gesellschaft bestehen können, beliebt sein und Einfluss nehmen können. Zivilisierung richtet sich stark an den jeweiligen Zeitgeist.

  4. Moralisierung
    Dies ist das höchste Ziel der Erziehung: Der Mensch soll nicht nur nützlich und gesellschaftsfähig sein, sondern selbstständig das Gute wollen. Er soll aus innerer Überzeugung moralisch handeln – nicht, weil er Angst vor Strafe hat, sondern weil er den Wert des Guten einsieht.

Diese vier Aufgaben bauen aufeinander auf, wobei Moralisierung das oberste Ziel darstellt.

Wie bestimmt Kant das Verhältnis von Freiheit und Zwang in der Erziehung? Warum lehnt er eine rein auf Disziplin gegründete Erziehung ab?

(Seite 45)

Kant beschreibt das Verhältnis von Freiheit und Zwang in der Erziehung als ein grundlegendes pädagogisches Problem. Seine berühmte Frage lautet: „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ Denn einerseits muss ein Kind gewisse Regeln lernen und Einschränkungen akzeptieren – ohne Disziplin geht es nicht. Andererseits soll es aber nicht zu einem passiven, gehorsamen Wesen erzogen werden, sondern zu einem Menschen, der frei denkt und handelt.

Kant lehnt eine rein auf Disziplin basierende Erziehung ab, weil sie zwar kurzfristig funktioniert, aber langfristig keine selbstständige Persönlichkeit hervorbringt. Kinder sollen nicht nur dressiert oder konditioniert werden, sondern lernen, aus eigenem Verstand moralisch zu handeln. Wenn sie nur aus Angst vor Strafe gehorchen, wird das im Erwachsenenalter nicht tragfähig sein. Deshalb betont Kant, dass man Kindern helfen muss, eigene Maximen (Grundsätze) zu entwickeln, nach denen sie ihr Handeln ausrichten können.

Inwieweit enthält Kants Erziehungsprogramm Elemente der Anpassung an den gesellschaftlichen Status quo, und inwieweit weist es über diesen hinaus?

(Seite 46)

Kants Erziehungskonzept enthält einerseits Elemente der Anpassung an die bestehende Gesellschaft, andererseits auch deutlich utopische und zukunftsorientierte Aspekte. Anpassung zeigt sich vor allem bei den ersten drei Aufgaben: Disziplinierung, Kultivierung und Zivilisierung sollen das Kind dazu befähigen, sich in die bestehende Gesellschaft einzufügen und dort erfolgreich zu leben.

Doch Kant geht darüber hinaus: In der Moralisierung liegt eine Vision von Fortschritt. Erziehung soll nicht nur bestehende Zustände festigen, sondern dazu beitragen, dass zukünftige Generationen besser und gerechter leben können. Er fordert ausdrücklich, dass Kinder nicht nur für die Gegenwart, sondern für eine bessere Zukunft erzogen werden sollen – also für eine Menschheit, wie sie sein könnte. Damit entwirft Kant ein pädagogisches Programm, das über den Status quo hinausweist und auf eine bessere Welt abzielt.

Kant schreibt der „judiziösen“ Pädagogik eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit zu. Welche „Blindflecken“ weist eine solche Auffassung auf?

(Seite 47)

Kants großes Vertrauen in die „judiziöse“, also vernunftgeleitete Erziehung, ist typisch für den Optimismus der Aufklärung. Er geht davon aus, dass man durch richtige Erziehung die Menschheit tatsächlich vervollkommnen könne – hin zu einer moralisch guten und vernünftigen Gesellschaft. Dieser Gedanke ist bis heute für viele Pädagog:innen inspirierend.

Allerdings gibt es auch kritische Einwände gegen diese Sicht. Ein „Blindfleck“ ist etwa die Vernachlässigung der Gefühle, der Individualität oder der sozialen Realität. Nicht jeder Mensch lässt sich durch Vernunft allein erziehen – Emotionen, soziale Ungleichheiten oder kulturelle Unterschiede bleiben in Kants Modell weitgehend unbeachtet. Außerdem wird der enorme Anspruch, durch Erziehung die Welt zu verbessern, von vielen als Überforderung der Pädagogik gesehen. Moderne Kritiker sprechen deshalb von einer „Überhöhung“ der Erziehung im Denken der Aufklärung.