Tarnai, C. (2010). Erziehungsziele. In D. H. Rost, J. R. Sparfeldt & S. R. Buch (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Auflage, S. 169-174). Weinheim, Beltz Verlagsgruppe.
Laut Brezinka (1991, 1995):
Erziehungsziele sind Ergebnisse, die durch Erziehung erreicht werden sollen. Dabei unterscheidet er zwei Arten:
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Minimalbegriff: was der Erziehende will, egal ob es moralisch richtig ist.
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Normbegriff: was gesellschaftlich als richtig und gut gilt.
Kritisch: Brezinka selbst sagt, Erziehung solle auf wertvolle Ziele ausgerichtet sein – daher ist der Minimalbegriff eigentlich unpassend.
Rost & Witt (1993) schlagen vor, zwischen drei Aspekten zu unterscheiden:
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generell-normativ (gesellschaftliche Werte),
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individuell-normativ (persönliche Überzeugungen),
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deskriptiv (konkrete, beobachtbare Ziele im Alltag).
Erziehungsziele in der Familie
Was wollen Eltern eigentlich erreichen?
Grüneisen & Hoff (1980) befragten Eltern und fanden:
Die wichtigsten Ziele sind:
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Ehrlichkeit
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Glücklichsein
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Selbständigkeit
Weniger wichtig sind:
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Religiös sein
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Schamgefühl
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Beliebt bei Erwachsenen
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Still sein
Rost & Witt (1993) bestätigen das mit neuen Studien – besonders wichtig sind:
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Selbstvertrauen
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Verantwortungsbewusstsein
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Konflikte verbal lösen
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Toleranz
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Aufgeschlossenheit
Ziele wie „Ordnung“ oder „Gehorsam“ landen auf den hinteren Plätzen.
Interpretation: Eltern benennen gesellschaftlich akzeptierte Werte, nicht unbedingt das, was sie im Alltag tatsächlich tun (Rost & Witt 1993, S. 101).
Erziehungsziele in der Schule
Hier geht’s nicht um Lehrpläne, sondern darum, was Lehrkräfte selbst für wichtig halten.
Krampen (1979) fand bei Lehrern:
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Wichtigstes Ziel: Selbständigkeit
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Danach: Selbstvertrauen, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft
Stangl (1982) stellte fest:
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Lehrer haben ein realistisches Bild von den Wünschen der Schüler.
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Schüler hingegen glauben oft, Lehrer wollten vor allem „Konformität“ (also Gehorsam, Ordnung…).
Patry & Hofmann (1998) zeigen:
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Lehrer möchten am liebsten Autonomie fördern.
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In der Praxis setzen sie aber eher Disziplin und Wissensvermittlung um.
Wandel der Erziehungsziele
Studien zeigen: Es hat ein Wertewandel stattgefunden. Früher war Gehorsam wichtig – heute ist es Selbstständigkeit.
Beispiel: EMNID-Umfrage (Klages 1993)
Frage: Worauf sollte Erziehung besonders achten?
Drei Antwortmöglichkeiten:
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Gehorsam & Unterordnung
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Ordnung & Fleiß
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Selbständigkeit & freier Wille
Ergebnis:
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1951: 28 % für Selbstständigkeit
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1989: 67 % für Selbstständigkeit
→ Ein klarer Wertewandel!
ALLBUS-Daten (1982, 1992) bestätigen das:
Nicht nur junge, auch ältere Menschen schätzen heute Autonomie höher. Ursache: Mehr Bildung und veränderte Sozialisation.
Fazit
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Erziehungsziele zeigen, was uns als Gesellschaft wichtig ist.
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Der Trend geht klar in Richtung Autonomie und soziale Kompetenzen – weg von Gehorsam und Anpassung.
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Solche Ziele spiegeln gesellschaftliche Wertorientierungen wider (Tarnai 2010, S. 174).