Allgemeine Pädagogik


Wichtige Definitionen findest du hier :) 

Du steckst mitten in den Vorbereitungen auf dein Examen in Allgemeiner Pädagogik?
Oder möchtest du dein Wissen in diesem Bereich einfach vertiefen? Dann bist du hier genau richtig!

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie überfordernd und einsam das Lernen manchmal sein kann – besonders, wenn man sich durch komplexe Texte und theoretische Modelle kämpfen muss. Genau deshalb habe ich angefangen, meine Zusammenfassungen und Lernhilfen hier zur Verfügung zu stellen.

Du findest hier verständlich aufbereitete Inhalte zu den wichtigsten Themen der Allgemeinen Pädagogik – als kleine Unterstützung auf deinem Lernweg. Damit du dich nicht allein gelassen fühlst und das Lernen wieder ein bisschen leichter wird.

Schau dich gerne um – ich freue mich, wenn es dir hilft!

Muss der Mensch erzogen werden?


Mit dieser Examensfrage möchte ich gerne starten, denn sie wirkt auf den ersten Blick simpel, ist jedoch weitaus tiefgründiger, als es zunächst scheint.


Die spontane Antwort – insbesondere aus der Perspektive angehender Lehrkräfte – wäre vermutlich ein klares "Ja".
Dieser spannenden und vielschichtigen Fragestellung wollen wir im Folgenden auf den Grund gehen.

Zuerst sollten wir die Fragestellung genau betrachten: Was steckt eigentlich dahinter? In diesem Satz sind mehrere Kernelemente enthalten, die wir systematisch erfassen müssen. Wenn wir das tun, erkennen wir bereits die wichtigen Begriffe und Implikationen, die es zu klären gilt.

 

Die Fragestellung enthält unter anderem folgende Aspekte:

  • Mensch: Hier wäre eine Möglichkeit (als Beispiel), den Menschen aus Sicht der pädagogischen Anthropologie zu untersuchen (= Stichwort "Erziehungsbedürftigkeit").

    Im Kontext der Anthropologie werden sich folgende Fragen gestellt:

    • Was ist der Mensch?
    • Was soll der Mensch sein? 
    • Wie ist der Mensch?
  • Erziehung: Wir müssen versuchen zu erläutern, was unter dem Begriff „Erziehung“ zu verstehen ist. "Erziehung ist nicht ohne Ziele, Normen und Werte möglich" (Gudjons, H. & Traub, S., (2020) S. 183).

  • „muss“: Dieses Wort signalisiert eine Forderung oder Verpflichtung. Es deutet darauf hin, dass jemand der Auffassung ist, dass eine bestimmte Erziehung erfolgen soll. Damit wird eine normative (also wertende) oder sozialisatorische Komponente angesprochen.

  • Demnach stellt sich die Frage nach dem "wie?" – also: Auf welche Weise und in welchem Rahmen soll der Mensch erzogen werden? Diese Frage nach dem "wie?" steht für Werte und Normen (Normativität) -> Also ein bestimmtes Erziehungsziel.

    • Erneut gibt es auch hier verschiedene Auffassungen darüber, wie man gut oder wie man schlecht erzieht (= Stichwort - Methodisierung von Erziehung). 

Diese Faktoren stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Das bedeutet: Wir müssen das Zusammenspiel dieser Begriffe im Blick haben, wenn wir die Frage beantworten wollen. Außerdem sollten wir all diese Überlegungen mit dem Fachwissen verknüpfen, das wir im Studium erworben haben – und das ist natürlich eine ganze Menge.

Im Folgenden möchte ich dir deshalb eine mögliche Herangehensweise schildern, wie ich selbst an die Fragestellung herangehen würde. Das ist natürlich nur eine von vielen Möglichkeiten und keine Patentlösung. Vielleicht hilft dir meine Darstellung aber dabei, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen und den Zusammenhang besser zu verstehen.

Mensch

Grundlegend:

Pädagogische Handlungen beruhen auf Menschenbildern. Es gibt verschiedene Auffassungen des Menschen. Hier nur ein zwei Beispiele: 

(Weitere Beispiele findest du in der unten angeführten Mind-Map)

  • Arnold Gehlen

Arnold Gehlen beschreibt den Menschen als „Mängelwesen“, dem instinktive Sicherheiten und körperliche Schutzmechanismen fehlen. Um zu überleben, schafft er sich durch Lernen, Handeln und Kultur eine künstliche Ersatzwelt, die seine natürlichen Defizite ausgleicht.

Zentral - „Der Mensch muss um des Überlebens willen zur Kultur erzogen werden“ (Gudjons, H. & Traub, S., 2020, S. 184)

  • Adolf Portmann

Adolf Portmann sieht den Menschen aufgrund seiner „physiologischen Frühgeburt“ als besonders entwicklungsbedürftig: Erst durch ein nachgeburtliches „extra-uterines Frühjahr“ in menschlicher Umgebung erwirbt er grundlegende Fähigkeiten wie aufrechten Gang, Sprache und Handlungsfähigkeit. Daraus ergibt sich seine hohe Lernfähigkeit, seine Weltoffenheit und die Notwendigkeit von Erziehung.

(Gudjons, H. und Traub, S., 2020, S.185)

Mind-Map zur Examensfrage "Muss der Mensch erzogen werden?"


Ich teile hier gerne meine Mind-Map zur Examensfrage mit dir – vielleicht findest du darin ein paar hilfreiche Impulse für deine Ausarbeitung der Fragestellung. Schau gerne mal rein!

Mind Map Erziehung Jpg
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Die folgende Gliederung soll lediglich zur Strukturierung meiner Mind-Map dienen. Sie ist noch ausbaufähig und versteht sich ausschließlich als Vorschlag – nicht als Musterbeispiel. Vielmehr möchte sie eine kleine Hilfe zur Orientierung bieten.

Gliederung – „Muss der Mensch erzogen werden?“

  1. Menschsein als pädagogische Grundfrage (Einleitung)
  • Einstieg über die anthropologische Leitfrage: Was ist der Mensch?
  • Relevanz der Erziehungsfrage in historischer wie aktueller Perspektive (Kant, Gehlen)
  • Ziel: Herleitung und Begründung der Aussage: „Ja, der Mensch muss erzogen werden“

 

  1. Anthropologische Begründung der Erziehungsbedürftigkeit (Hauptteil)
  • (pädagogische) Anthropologie: Erkenntnisinteresse
  • Menschenbilder und ihre Bedeutung -> Hierzu zwei Beispiele: Der Mensch als Mängelwesen (Gehlen): biologisch unfertig, auf Kultur angewiesen und/oder Der Mensch als Vernunftwesen (Kant): Freiheit nur durch Erziehung möglich (bspw.) -> Ableitung bestimmter Merkmale von Menschenbildern
  • Zwischenfazit: Ohne Erziehung bleibt der Mensch unter seinen Möglichkeiten
  1. Erziehung
    • Definition (vgl. Brezinka zit. nach Lenzen 1999, S.169)
  2. Normativer Auftrag: Erziehung als humanistische und politische Pflicht
    • Erziehung vermittelt Werte, Normen und Verantwortung (Kant, Litt)
    • Staat als Erziehungsinstanz zur Zivilisierung des Menschen (Hobbes)
    • Ziel: Mündige, gemeinschaftsfähige Persönlichkeit in pluraler Gesellschaft
    • hierzu: Erziehungsbedürftigkeit des Menschen (biologische Aspekte/ philosophische Aspekte)

 

  1. Warum soll der Mensch erzogen werden? (Schluss)
  • Synthese anthropologischer, gesellschaftlicher und normativer Argumente (Zusammenführung des Ganzen)
  • Der Mensch ist nicht nur fähig, sondern auch darauf angewiesen, erzogen zu werden
  • Schlussaussage: Ja, der Mensch muss erzogen werden

Einleitung Pädagogische Anthropologie als Science-Fiction, 9783825255688, 2021 (Zirfas)

Pädagogische Anthropologie


Anthropologie = "Lehre vom Menschen"

- anthropos (gr. für Mensch)

- logos (gr. für Lehre)

(Zirfas, 2021, S.11)

Die Pädagogische Anthropologie versteht den Menschen als komplexes, widersprüchliches und dynamisches Wesen, das sich weder eindeutig erfassen noch normativ fixieren lässt. Sie liefert kein technisches Wissen mit Handlungsanleitungen, sondern stellt einen Reflexionsrahmen für pädagogisches Denken und Handeln bereit. Pädagogik ist somit kein Bereich der Sicherheit, sondern einer der Entscheidungen, Positionierungen und Offenheit. Jeder pädagogischen Handlung liegt ein Menschenbild zugrunde (explizit oder implizit), das bestimmte Annahmen über das Wesen, die Entwicklung und die Erziehbarkeit des Menschen enthält.

Menschenbilder fungieren sowohl theoretisch (z. B. zur Beschreibung von Entwicklungspotenzialen) als auch praktisch (z. B. zur Begründung erzieherischer Maßnahmen). Sie reduzieren Komplexität, bleiben aber letztlich Fiktionen, die immer auf kulturellen, historischen und individuellen Interpretationen beruhen. Christoph Wulf hebt hervor, dass diese projektiven Bilder Zukunftsentwürfe darstellen, die ungewiss und fehleranfällig sind, aber dennoch notwendig für Bildungsprozesse. Pädagogische Anthropologie ist also eine „Science-Fiction“, insofern sie notwendigerweise mit hypothetischen, normativen und visionären Bildern operiert.

Historisch gesehen haben sich die Menschenbilder in der Pädagogik stark gewandelt – von antiken Konzepten des „musischen Kriegers“ über christlich geprägte Vorstellungen bis hin zu heutigen Konzepten des selbstoptimierenden Subjekts. Diese historischen Variationen zeigen, dass Pädagogik stets von ihrem Menschenbild geprägt ist und dass jede Zeit andere Antworten auf die Frage gibt, was ein Mensch ist und was aus ihm werden soll.

Moderne Pädagogische Anthropologie ist pluralistisch, inter- und transdisziplinär. Sie zieht Wissen aus der Philosophie, Biologie, Psychologie, Ethnologie, Kulturwissenschaft und Geschichte heran, um den Menschen in seiner Vielfalt zu erfassen. Dabei geht sie von historisch-apriorischen Dimensionen aus: Körperlichkeit, Sozialität, Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Kulturalität, Subjektivität und Grenzziehungen sind zentrale Kategorien zur Beschreibung des Menschen.

Zentral ist schließlich die doppelte Annahme vom Menschen als homo educandus (erziehungsbedürftig) und homo educabilis (erziehungsfähig). Darauf baut ein pädagogischer Grundriss auf, der den Menschen als erziehendes, lernendes, bildungsfähiges, lehrendes und sozialisierendes Wesen versteht.

 

Konkret...

 

1. Homo educandus bedeutet: Der Mensch ist erziehungsbedürftig.

Das heißt: Ein Mensch kann nicht einfach so leben, ohne von anderen etwas zu lernen. Besonders in den ersten Lebensjahren ist der Mensch auf Erziehung angewiesen, weil er nicht allein überleben, sprechen, sich orientieren oder mit anderen umgehen kann. Diese Erziehungsbedürftigkeit unterscheidet den Menschen von vielen Tieren, die instinktgeleiteter sind.

 

2. Homo educabilis bedeutet: Der Mensch ist erziehungsfähig.

Das heißt: Der Mensch kann lernen, sich entwickeln und sich verändern. Er kann nicht nur Wissen aufnehmen, sondern sich auch selbst weiterbilden. Diese Fähigkeit bleibt das ganze Leben lang bestehen.

 

Daraus ergibt sich der sogenannte „pädagogische Grundriss“:

Die Pädagogische Anthropologie sagt: Der Mensch ist nicht nur Objekt von Erziehung (also der, der erzogen wird), sondern auch Subjekt – er kann selbst erziehen, lernen, lehren und sich weiterentwickeln.

Konkret bedeutet das:

  1. Der Mensch wird erzogen – als Kind, aber auch später in der Schule, Ausbildung usw.

  2. Der Mensch kann lernen – und das sein Leben lang.

  3. Der Mensch kann sich bilden – das heißt: Er entwickelt seine Persönlichkeit, seine Haltung, seine Sicht auf die Welt.

  4. Der Mensch kann lehren – also anderen etwas beibringen.

  5. Der Mensch wächst in die Gesellschaft hinein – er wird Teil einer Gemeinschaft und gestaltet sie mit (Sozialisation und Kultivierung).

 

Insgesamt versteht sich Pädagogische Anthropologie als offenes Wissensfeld, das den Menschen nicht in festen Kategorien fasst, sondern ihn in seiner Widersprüchlichkeit und Entwicklungsoffenheit betrachtet. Sie stellt keine Lösungen bereit, sondern eröffnet Denk- und Handlungsmöglichkeiten für eine reflektierte, verantwortungsvolle Pädagogik.

(Hierzu auch Wulf und Zirfas, 2014)

Schritt für Schritt


  • Was ist Anthropologie? 

anthropos: der Mensch

logos: Lehre (auch: Wissenschaft)

(Zirfas, 2021, S.11)

Zentrale Frage der (pädagogischen) Anthropologie: Was ist der Mensch? 

 

Und was genau ist die pädagogische Anthropologie?

Eine der wissenschaftlichen Subdisziplinen, mit deren Hilfe die impliziten und expliziten Annahmen der Pädagogik über den Menschen reflektiert werden. 

 

(1) historisch-pädagogische Anthropologie geisteswissenschaftlicher Prägung 

(2) naturwissenschaftlich-pädagogische Anthropologie (Mensch als "Gattungswesen")

  • Zur Bedeutung von Menschenbildern:

"Dass jede pädagogische Vorstellung ein explizites oder implizites Menschenbild enthält, erscheint zunächst trivial. Bedeutsamer wird dieser Sachverhalt, wenn man sich bewusst macht, dass pädagogische Menschenbilder auch deskriptive und vor allem normative Vorstellungen darüber enthalten, wie Entwicklungen verlaufen bzw. verlaufen sollen oder auch, was eine humane Bestimmung ausmacht bzw. ausmachen soll." 

(Wulf u. Zarifas, 2014)

1. Historizität

  • Der Mensch ist ein historisches Wesen: seine Entwicklung, sein Denken und seine Bildung sind zeitlich geprägt.

  • Pädagogische Anthropologie reflektiert, wie sich Menschenbilder im Lauf der Geschichte verändert haben.

  • Beispiel: Das Bild vom „Kind als unbeschriebenem Blatt“ (Locke) in der Aufklärung vs. heutige Vorstellungen vom Kind als aktivem Lerner.

2. Kulturelle und kulturell vermittelte Wissensformen

  • Anthropologische Erkenntnisse sind kulturell situiert. Das heißt: was wir über den Menschen wissen oder zu wissen glauben, ist von kulturellen Kontexten geprägt.

  • Pädagogische Anthropologie bezieht daher interkulturelle Perspektiven ein.

  • Sie erkennt an, dass Wissen über „den Menschen“ nicht universell und objektiv, sondern immer auch kulturell gefärbt ist.

3. Kritische Perspektive

  • Pädagogische Anthropologie hat oft einen kritischen Anspruch: Sie fragt, inwiefern bestimmte Menschenbilder z. B. ausgrenzend, normierend oder ideologisch sind.

  • Sie analysiert kritisch, welche normativen Vorstellungen von „Bildung“, „Normalität“ oder „Entwicklung“ unser pädagogisches Denken prägen.

4. Selbstreflexivität

  • Pädagogische Anthropologie ist selbstreflexiv, d. h. sie bezieht auch die eigene Perspektive in die Analyse mit ein.

  • Beispiel: Wenn wir über „das Kind“ oder „den Lernenden“ sprechen – aus welcher Position tun wir das? Was sagen unsere Begriffe über uns selbst aus?

  • Auch Lehrpersonen und Forschende sind Teil des pädagogischen Feldes, nicht außenstehende Beobachtende.

5. Leiblichkeit und Subjektivität

  • Der Mensch wird nicht nur als rationales, sondern auch als leibliches, fühlendes, handelndes Subjekt verstanden.

  • Bildung betrifft immer auch den ganzen Menschen, nicht nur den Kopf. Das heißt: Emotionen, Körper, Wahrnehmung, Erfahrung – all das spielt eine Rolle.

6. Offenheit des Menschen (Mängelwesen, Weltoffenheit)

  • Zentral ist die Idee des Menschen als „offenes Wesen“ (Arnold Gehlen, Helmuth Plessner): Er ist nicht festgelegt, sondern gestaltbar (erziehungsbedürftig), aber auch erziehungsfähig.

  • Diese Offenheit ist Grundlage dafür, dass Pädagogik überhaupt möglich ist.

  • Erziehungsbedürftigkeit des Menschen

(1) Der Mensch als Mängelwesen (Arnold Gehlen): Kultur als Kompensation dieser Schwäche

(2) Der Mensch als "geistbegabtes Wesen": Kultur als Ausdruck des menschlichen Reichtums

Eine These zum Weiterdenken...


Erziehung – wozu? Und wann scheitert sie?

Wenn wir der Frage „Muss der Mensch erzogen werden?“ zustimmen, stellt sich im nächsten Schritt zwangsläufig die Frage nach dem Ziel: Wozu eigentlich soll der Mensch erzogen werden?

Eine mögliche Antwort könnte lauten: Damit er in der Gesellschaft lebensfähig ist, also handlungsfähig, urteilsfähig, beziehungsfähig und verantwortlich im Umgang mit sich selbst und anderen. In diesem Verständnis zielt Erziehung nicht nur auf individuelles Wohl, sondern auch auf soziale Teilhabe und demokratische Mündigkeit.

Doch genau an diesem Punkt wird ein zentrales Problem sichtbar: Welche Gesellschaft meinen wir eigentlich? Und: Ist jede Form der Anpassung auch wünschenswert?

Erziehung kann dann scheitern und zwar nicht nur am Kind oder an den Eltern, sondern an der Gesellschaft selbst. Wenn Erziehung lediglich auf Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen abzielt, die möglicherweise selbst problematisch oder gar destruktiv sind (z. B. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken, Entsolidarisierung), gerät sie in ein Spannungsverhältnis. Das Kind wird dann auf eine Welt vorbereitet, die es vielleicht gar nicht mitgestalten kann oder soll, sondern in der es sich bloß einfügen muss.

Scheitert Erziehung also dann, wenn sie in ihrer Ausrichtung auf eine Gesellschaft zielt, die keine gelingende Lebensführung ermöglicht?
Diese Frage führt zu einem tiefen pädagogischen Dilemma: Einerseits braucht der Mensch Erziehung, um in einer bestehenden Ordnung zurechtzukommen. Andererseits soll Erziehung auch befähigen, diese Ordnung zu hinterfragen, zu verändern – oder im besten Fall: zu verbessern.

Damit ist Erziehung immer auch ein Wagnis. Sie kann nicht nur gelingen oder misslingen, sondern auch an den falschen Zielen, an unangemessenen Normen oder an einer nicht (mehr) lebenswerten gesellschaftlichen Realität scheitern.

Mehr als nur "good to know"...


Die Erziehungsverantwortung von Eltern und Schule – ein Zusammenspiel auf verfassungsrechtlicher Grundlage


Die Frage, wer im Bildungssystem zur Erziehung verpflichtet ist, lässt sich nicht allein mit Blick auf das Elternhaus beantworten. Sowohl die Eltern als auch die Schule tragen (auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen) Verantwortung für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen.

 

Eltern als primäre Erziehungsverantwortliche (Art. 6 Abs. 2 GG)

Nach Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Damit ist klargestellt: Die Hauptverantwortung für die Erziehung liegt bei den Eltern. Sie sind nicht nur berechtigt, ihr Kind zu erziehen, sondern dazu auch gesetzlich verpflichtet. Diese Pflicht umfasst die Förderung der kindlichen Entwicklung ebenso wie die Vermittlung grundlegender Werte, sozialer Fähigkeiten und verantwortungsvollen Handelns.

 

Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird dies in § 1626 konkretisiert:

„Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen […]. Sie erziehen das Kind zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“

 

Die Schule als staatliche Erziehungsinstanz (Art. 7 Abs. 1 GG)

Gleichzeitig trägt auch der Staat eine Erziehungsverantwortung – vor allem durch das Schulwesen. Nach Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz gilt:

„Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“

Daraus folgt, dass Schulen nicht nur Bildung, sondern auch Erziehung im umfassenden Sinne vermitteln. Die Schule soll die Eltern nicht ersetzen, sondern sie in ihrem Erziehungsauftrag ergänzen und unterstützen.

 

Diese Mitverantwortung des Staates ist in den Schulgesetzen der Länder konkretisiert. In Bayern regelt das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in Artikel 1 Absatz 1 (Erziehungs- und Bildungsauftrag):

(1) Die Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter bilden. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre,
Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur, Umwelt, Artenschutz und Artenvielfalt.

Die Schülerinnen und Schüler sind im Geist der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinn der Völkerversöhnung zu erziehen.
(2) Bei der Erfüllung ihres Auftrags haben die Schulen das verfassungsmäßige Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu achten.

(Ergänzend hierzu Artikel 2 BayEUG: Aufgaben der Schulen)

 

Diese gesetzlich formulierten Bildungs- und Erziehungsziele zeigen: Die Schule in Bayern hat einen klaren Auftrag, zur Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen beizutragen – ethisch, sozial, emotional und politisch.

 

Ein partnerschaftliches Verhältnis – keine Konkurrenz...

Wichtig ist, dass Schule und Elternhaus nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich in ihrer gemeinsamen Verantwortung ergänzen. Es handelt sich um eine pädagogische Partnerschaft, in der beide Seiten (auf jeweils eigene Weise) das Kind unterstützen. Die Schule kann dabei andere Impulse setzen als die Familie und bietet soziale Erfahrungsräume, in denen Werte und Regeln des Zusammenlebens eingeübt werden.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen...

Die Verpflichtung zur Erziehung ist sowohl Eltern als auch Schule gesetzlich zugewiesen. Während die primäre Erziehungsverantwortung bei den Eltern liegt (Art. 6 GG), trägt die Schule im Rahmen des staatlichen Bildungsauftrags eine ergänzende Mitverantwortung, die im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz klar formuliert ist. In einer sich wandelnden Gesellschaft ist das Zusammenspiel beider Instanzen entscheidend, um Kinder und Jugendliche ganzheitlich zu fördern und auf ein verantwortungsbewusstes Leben in Gemeinschaft vorzubereiten.

Die Schule als Ort gemeinsamer Wertevermittlung – Legitimation durch Schulpflicht und kulturelle Teilhabe


BayEUG: Artikel 36 Erfüllung der Schulpflicht

Eine demokratische Gesellschaft benötigt eine gemeinsame Wertebasis, auf die sich ihre Mitglieder im öffentlichen Leben, im Miteinander und im politischen Diskurs beziehen können. Diese Werte entstehen nicht zufällig, sondern müssen vermittelt, eingeübt und reflektiert werden. Die Schule übernimmt dabei eine zentrale Rolle: Sie ist nicht nur Lern-, sondern auch Sozialisations- und Kulturraum, in dem Kinder und Jugendliche an die gemeinsamen Werte und Normen einer Gesellschaft herangeführt werden.

Die Allgemeine Schulpflicht ist Ausdruck dieser Überzeugung. Sie legitimiert sich nicht nur durch das Ziel, Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, sondern auch durch den Anspruch, eine gemeinsame Grundlage für das gesellschaftliche Zusammenleben zu schaffen. In der Schule begegnen sich Kinder aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen und familiären Kontexten. Hier entsteht ein gemeinsamer Erfahrungsraum, in dem Werte wie Respekt, Gerechtigkeit, Toleranz, Mitverantwortung und Solidarität nicht nur thematisiert, sondern auch gelebt und erprobt werden können.

Dabei geht es nicht um die einseitige Vermittlung eines starren Wertekatalogs. Vielmehr stehen unterschiedliche Wertetypen im Zentrum, die sich gegenseitig ergänzen: Pflicht- und Akzeptanzwerte wie Disziplin, Verantwortungsbewusstsein oder Verlässlichkeit sichern Stabilität und soziale Ordnung. Selbstentfaltungswerte wie Freiheit, Kreativität und Individualität ermöglichen persönliche Entwicklung und kulturelle Vielfalt. Gemeinsam bilden sie ein Begründungssystem, das sowohl das gesellschaftliche Funktionieren als auch die individuelle Selbstverwirklichung unterstützt. Der Mehrwert dieser Werte liegt auf der Hand: Sie schaffen Sicherheit, soziale Orientierung und Zusammenhalt, sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft.

In öffentlichen Debatten wird häufig ein sogenannter „Werteverfall“ beklagt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Vorstellung jedoch kritisch zu betrachten. Es handelt sich nicht um einen Verlust von Werten, sondern vielmehr um eine Transformation: Werte verändern sich, erhalten neue Bedeutungen oder werden in veränderte gesellschaftliche Kontexte eingebettet. Was früher als selbstverständlich galt, wird heute hinterfragt; gleichzeitig gewinnen andere Werte wie Gleichstellung, Nachhaltigkeit oder Diversität an Bedeutung. Die Schule steht damit vor der Aufgabe, Wertediskurse zu ermöglichen, Unterschiede zu thematisieren und gemeinsam geteilte Grundlagen auszuhandeln.

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal des Menschen gegenüber dem Tier liegt in seiner Fähigkeit, Kultur zu schaffen und weiterzugeben. Genau hier setzt Schule an: Sie ist ein zentraler Ort kultureller Teilhabe. Durch Sprache, Kunst, Geschichte, Religion, soziales Miteinander und politische Bildung wird jungen Menschen der Zugang zur kulturellen Ordnung der Gesellschaft eröffnet. Bildung ist damit nicht nur Wissensvermittlung, sondern immer auch Einführung in Kultur – also in das, was Menschen verbindet, was sie unterscheidet und was ihnen Orientierung im Leben gibt.

So verstanden, trägt die Schule wesentlich dazu bei, dass Kinder und Jugendliche zu aktiven, reflektierten und mitverantwortlichen Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft heranwachsen können. Werteerziehung ist deshalb kein „Zusatz“, sondern integraler Bestandteil des Bildungsauftrags.

Quellen

Gudjons, H. & Traub, S. (2020). Pädagogisches Grundwissen: Überblick - Kompendium - Studienbuch (13. Aufl.). utb Pädagogik: Bd. 3092. UTB GmbH; Klinkhardt.