Menck, P. (2023). Geschichte der Erziehung (3. überarb. u. ergänzte Auflage). Siegen. S. 201-217

Jean-Jacques Rousseaus Erziehungstheorie – einfach erklärt

 

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) gilt als einer der einflussreichsten Denker der Aufklärung. Mit seinem Werk Emile oder Über die Erziehung (1762) stellt er eine völlig neue Sicht auf das Kind und die Erziehung vor. Er glaubt nicht mehr – wie viele seiner Zeitgenossen –, dass das Kind durch Erziehung zu einem Christen oder Untertan gemacht werden muss, sondern er will es „zum Menschen“ erziehen (S. 203).

Rousseau vertritt das Konzept der natürlichen Entwicklung des Menschen. Sein berühmtester Grundsatz lautet:

 

„Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen“ (Rousseau zit. nach Menck, 2023, S. 198).

 

Das bedeutet: Der Mensch wird von Natur aus gut geboren – es ist die Gesellschaft, die ihn verdirbt. Deshalb soll Erziehung so gestaltet werden, dass sie nicht gegen, sondern im Einklang mit der Natur des Kindes verläuft. Deshalb müsse man die Erziehung an der Natur orientieren: „Beobachtet die Natur und folgt dem Weg, den sie euch vorzeichnet“ (Rousseau zit. nach Menck, 2023, S. 198).

 

Ziel der Erziehung: Ein freier, vernünftiger und selbstständiger Mensch. Rousseau will, dass das Kind zuerst „Mensch“ wird, bevor es in die Rolle als Bürger eintritt. Das Menschsein ist dabei wichtiger als jede spätere gesellschaftliche Funktion wie Beamter, Soldat oder Priester (vgl. Menck, 2023, S. 203).

 

Wie erzieht man „nach der Natur“? Rousseau unterscheidet drei Arten der Erziehung: durch die Natur (Entwicklung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten), durch die Dinge (eigene Erfahrungen) und durch die Menschen (Einfluss von außen) (vgl. Menck, 2023, S. 206). Er fordert, dass diese Erziehungsarten im Einklang stehen sollen – im besten Fall orientiert sich die Erziehung an der Natur des Kindes.

 

Erziehung durch Freiheit und Erfahrung: Rousseau spricht sich gegen strenge Regeln und autoritäre Erziehung aus. Stattdessen sollen Kinder aus Erfahrungen lernen. Ein Beispiel: Wenn ein Kind eine Fensterscheibe zerbricht, soll es die Konsequenzen spüren – z. B. im kalten Zimmer schlafen – statt bestraft zu werden (vgl. Menck, 2023, S. 211).

 

Die Rolle des Erziehers: Der Erzieher begleitet das Kind von Anfang an, zunächst stellvertretend für die Eltern, später auf Augenhöhe als Freund und Ratgeber, sobald das Kind reif genug ist (vgl. Menck, 2023, S. 210). Rousseau betont, dass echte Erziehung nur im direkten persönlichen Verhältnis zwischen Erzieher und Kind gelingen kann.

 

Gesellschaftskritik als Ausgangspunkt: Rousseaus Pädagogik ist eng mit seiner Gesellschaftskritik verbunden. Die damalige Gesellschaft – das Ancien Régime – war geprägt von Ungleichheit, Privilegien des Adels und Unterdrückung des „dritten Standes“ (vgl. Menck, 2023, S. 204). Rousseau sieht in der Gesellschaft die Ursache für die „Entartung“ des Menschen – und Erziehung als Möglichkeit, den Menschen davor zu schützen.

 

Widerspruch in der Praxis: Interessanterweise hat Rousseau selbst seine eigenen Kinder ins Findelhaus gegeben (S. 199), obwohl er in seinem Buch große Verantwortung für Eltern einfordert. Er ist sich dieses Widerspruchs bewusst und zeigt in seinen „Bekenntnissen“ Reue (vgl. Menck, 2023, S. 200).

 

Mädchen und Frauen: In Emile wird auch ein weiblicher Gegenpart, Sophie, eingeführt. Allerdings wird sie nicht zur freien Bürgerin, sondern zur „idealen Frau“ im Sinne der damaligen Gesellschaft erzogen (S. 214 ff.). Ihre Erziehung orientiert sich an der Rolle, die Frauen gesellschaftlich zugeschrieben wurde – das zeigt die Grenzen von Rousseaus sonst so fortschrittlichem Denken.