Weber, E. (1999). Pädagogik Eine Einführung (8. Aufl., Band 1, 3). Auer. S. 451-461; 475-477
Was sind Erziehungsziele und wozu sind sie da?
Erziehungsziele sind Vorstellungen davon, wie sich ein Mensch durch Erziehung entwickeln soll. Sie helfen Erziehenden, sich zu orientieren, Entscheidungen zu treffen und ihr Handeln zu begründen.
Laut Brezinka (1972, 1975) haben Erziehungsziele verschiedene Funktionen:
-
Sie geben Orientierung.
-
Sie motivieren dazu, pädagogisch zu handeln.
-
Sie helfen dabei, Erziehungserfolge zu überprüfen.
-
Sie unterstützen die Zusammenarbeit (z. B. von Eltern und Lehrkräften).
-
Sie steigern das Selbstbewusstsein von Erziehenden.
Aber: Erziehungsziele können auch missbraucht werden, etwa als leere Floskeln, die gut klingen, aber nichts bedeuten.
Wie kann man Erziehungsziele sortieren oder klassifizieren?
Weil es so viele verschiedene Erziehungsziele gibt, versucht man sie zu ordnen. Beispiele:
-
Nach Wichtigkeit: Hauptziele vs. Teilziele
-
Nach Zeit: kurzfristige Ziele (z. B. für eine Stunde) vs. langfristige (z. B. Lebensziele)
-
Nach Bereich: kognitive Ziele (Denken), affektive Ziele (Fühlen), sensomotorische (Handeln)
-
Nach Lebensbereich: z. B. politische, religiöse, wirtschaftliche Ziele Diese Ordnung hilft dabei, im Unterricht oder der Bildungspolitik klarer zu arbeiten.
Wie kann man Erziehungsziele begründen (= legitimieren)?
Früher galt: Was die Gesellschaft vorgibt, ist richtig. Heute: In einer offenen Gesellschaft müssen Erziehungsziele begründet werden. Man fragt: Warum ist dieses Ziel richtig oder wichtig?
1. Normative Legitimation (z. B. Francke, religiös):
Man leitet Ziele von übergeordneten religiösen oder politischen Werten ab. Beispiel: August Hermann Francke (1702) wollte Kinder zur "wahren Gottseligkeit" erziehen.
→ Problem: Diese Begründungen sind oft vage und nicht für alle nachvollziehbar.
(vgl. Francke zit. in Weber 1999, S. 454; kritisch dazu: H. Blankertz 1969)
2. Verfahrenslegitimation (z. B. Luhmann):
Hier zählt das Verfahren: Ziele sind gültig, wenn sie demokratisch beschlossen wurden – z. B. durch Parlamente oder Expertengremien.
→ Problem: Auch demokratisch beschlossene Ziele können problematisch sein (z. B. im Nationalsozialismus).
(vgl. Luhmann 1969; Weber 1999, S. 456)
3. Diskursive Legitimation (z. B. Habermas):
Ziele sind dann legitim, wenn sie in einem fairen Diskurs (= Gespräch) von allen Betroffenen gemeinsam entwickelt wurden.
→ Ideal: Jeder darf mitreden, keiner wird unterdrückt.
→ Aber: In der Realität schwer umzusetzen.
(vgl. Habermas 1973; Klafki 1989; Weber 1999, S. 457–459)
Wichtig:
W. Tröger (1986) sagt: Alle drei Wege sind wichtig und sollten kombiniert werden. Man kann Erziehungsziele nicht 100 % beweisen, aber gut begründen.
(vgl. Tröger 1986, S. 194)
Gefahren bei Erziehungszielen
Weber nennt einige Risiken (S. 476–477):
-
Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung: Wenn man nur Normen vorgibt, ist keine Freiheit möglich. Ohne Normen gibt’s aber auch keine Richtung. → Heid (1972, 1989) fordert eine Balance: Erziehen zur Mündigkeit durch Diskussion.
-
Vergangenheitsfixierung: Traditionelle Ziele können Entwicklung behindern. → Bittner (1964) warnt vor zu starren Leitbildern.
-
Vage oder leere Formulierungen: Wenn Ziele unklar sind, helfen sie in der Praxis nicht weiter.
-
Utopien: Zu hohe Ziele führen zu Überforderung und Frust bei Kindern.
-
Indoktrination: Wenn Ziele dogmatisch vorgegeben werden (z. B. in totalitären Staaten), kann das zur Manipulation führen.