Klafki (1990). Abschied von Aufklärung?, S. 267-279

Klafki wendet sich gegen die These vom „Ende der Aufklärung“ und entwirft stattdessen einen zeitgemäßen Begriff von Allgemeinbildung, der auf den Werten der Aufklärung aufbaut – aber kritisch weitergedacht werden muss.

These I: Allgemeinbildung als Antwort auf gegenwärtige Herausforderungen

  • Der Begriff „Allgemeinbildung“ wird vielfach unterschiedlich interpretiert, teilweise sogar konservativ oder elitär.

  • Klafki fordert einen neuen, demokratisch und gesellschaftlich verantworteten Bildungsbegriff, der sich aus den Anforderungen der Gegenwart ableitet (S. 268).

These II: Kritische Weiterentwicklung der Tradition

  • Klafki knüpft an aufklärungstheoretische Traditionen (z. B. Kant, Humboldt) an, will diese jedoch kritisch aktualisieren:

„Heute ist es eine zentrale Aufgabe [...], die Denkansätze jener Epoche [...] wieder aufzunehmen und sie [...] weiterzudenken.“ (S. 270)

→ Kritische Punkte:

  • Vernachlässigung der Geschlechtergerechtigkeit

  • zu wenig Reflexion über soziale Ungleichheiten

These III: Drei Grundfähigkeiten als Bildungsziel

Bildung heißt heute:

  1. Selbstbestimmungsfähigkeit

  2. Mitbestimmungsfähigkeit

  3. Solidaritätsfähigkeit
    (S. 270)

Diese drei Fähigkeiten bilden den Kern von Bildung, weil sie zu einem handlungsfähigen, verantwortungsvollen Subjekt in einer demokratischen Gesellschaft führen.

These IV: Bildung als Allgemeinbildung – dreifache Bedeutung

  1. Bildung für alle: demokratisches Bürgerrecht

  2. Bildung im Medium des Allgemeinen: Auseinandersetzung mit zentralen Menschheitsfragen

  3. Bildung in allen Dimensionen: kognitiv, technisch, sozial, ästhetisch, ethisch-politisch (S. 271)

These V–VII: Konsequenzen für Bildungssystem und Inhalte

These V: Demokratisierung des Bildungswesens

  • Ausbau gemeinsamer Schulen (z. B. Gesamtschulen)

  • Abbau von Selektion

  • Integration beruflicher und allgemeiner Bildung (S. 272)

These VI: Bildung im Medium des Allgemeinen = Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen:

Klafki nennt fünf „epochaltypische Schlüsselprobleme“:

  1. Frieden und Abrüstung

  2. Umwelt und Nachhaltigkeit

  3. soziale Ungleichheit und Gerechtigkeit

  4. Digitalisierung und Medienkompetenz

  5. Zwischenmenschliche Beziehungen und Sexualität
    (S. 272–275)

➡ Ziel: Bildung soll Problembewusstsein, Urteilsfähigkeit und Engagement fördern.

These VII: Bildung muss auch vielfältige individuelle Entwicklung ermöglichen – jenseits der Schlüsselprobleme:

  • Persönlichkeitsentwicklung

  • Ästhetik, Handlungsfähigkeit, Ethik, Lebenssinn (S. 276–277)

These VIII: Didaktische Prinzipien einer neuen Allgemeinbildung

Vier Unterrichtsprinzipien:

  1. Exemplarisches Lernen

  2. Methodenlernen

  3. Handlungsorientierung

  4. Verbindung von sachlichem und sozialem Lernen
    (S. 277–278)

Diese Prinzipien sollen Bildung erfahrbar und lebensnah machen.

These IX: Grundfertigkeiten gehören dazu – aber sind Mittel, nicht Zweck

  • Lesen, Schreiben, Rechnen, Disziplin usw. sind notwendig, aber nicht ausreichend.

  • Sie dürfen nicht als Voraussetzung für „höhere Bildung“ missverstanden werden, sondern in inhaltlich bedeutsamen Kontexten erworben werden. (S. 278–279)

Borst, E.: Kategoriale Bildung und kritisch-konstruktive Erziehungswissenschaft. In: Borst, E. (2016): Theorie der Bildung. Eine Einführung. 4. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH (Pädagogik und Politik, Band 2). S. 138-153