Aktuelle Ansätze und Modelle


Lischewski, A. (2014). Meilensteine der Pädagogik. Krömer (S. 488-495)

Meilensteine der Pädagogik


Brezinkas Metatheorie der Erziehung (1978)     


Entstehung und Hintergrund 

  • 1978: Veröffentlichung der Metatheorie der Erziehung als vierte, stark überarbeitete Auflage von “Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft” (S. 488). 
  • Grundlage (Frage nach der “richtigen” Auffassung von Wissenschaft) 

-> Forderung einer Unterscheidung zwischen:  

  • konfessionell geprägter Pädagogik (normativ, handlungsorientiert) 
  • Erziehungswissenschaftliche Theoriebildung 
  • Orientierung am Kritischen Rationalismus (Popper, Albert, Stegmüller) (S. 489). 

Wissenschaftsverständnis 

  • Ziel: keine Erziehungstheorie, sondern Meta-Theorie (S. 489). 
  • Fokus auf logische Ordnung von Theorien, nicht auf praktische Erziehung selbst (S. 489). 
  • Theorie gilt nur als wissenschaftlich, wenn sie überprüfbare Kausalzusammenhänge formuliert (S. 489). 
  • Die Wahl des Wissenschaftsverständnisses bleibt eine subjektive Entscheidung (S. 489). 

Drei Theorieformen (S. 490–492) 

1. Normative Philosophie der Erziehung (Zweck der Erziehung; rationale Begründbarkeit) 

  • Beschäftigt sich mit Zielen, Werten, Bildungsinhalten und ethischen Fragen. 
  • Ziel: rationale Prüfung und Begründung von Erziehungszielen (S. 491)

 

2. Praktische Pädagogik 

  • Wählt Mittel für erzieherisches Handeln aus. 
  • Bietet Handlungshilfen, entlastet durch bewährte Strategien (S. 491–492). 

 

3. Empirisch-analytische Erziehungswissenschaft (erklärend, technologisch, prognostisch)  

  • Untersucht kausale Ursache-Wirkungs-Beziehungen. 
  • Liefert Theorien zur Erklärung, Prognose und Technologie – ohne Werturteile (S. 492).

Zusammenspiel der Theorieformen 

  • Keine Theorieform darf allein dominieren (S. 492). 
  • Kooperation: 
  • Philosophie begründet Ziele. 
  • Empirie prüft Mittel auf Wirksamkeit. 
  • Praxis setzt beides konkret um (S. 492f.). 

Bedeutung der Praxis 

  • Gute Pädagogik entsteht nicht allein durch Wissenschaftlichkeit (S. 493). 
  • Forderung nach Rehabilitierung der Praktischen Pädagogik (S. 493). 
  • Vermittlung von Orientierungswissen, Tugenden, Haltungen – ohne Fachjargon (S. 493). 

Rezeption 

  • Stark rezipiert in den 1980er/90er Jahren, jedoch unterschiedlich: 
  • Technologisch-effizienzorientiert (z. B. Rössner, von Cube) (S. 494). 
  • Kritisch-pluralistisch (z. B. Heid, Pollak) mit Fokus auf Pragmatik, Geschichte, Vielfalt (S. 494).    

Kritik 

        • Ablehnung der strikten Trennung von Theorieformen (S. 495). 
        • Gefahr: Abwertung normativ-ethischer und praxisbezogener Fragen als „unwissenschaftlich“ (S. 495). 
        • Kritik an Werturteilsfreiheit → Mensch wird zum Objekt der “effizienzorientierten” Manipulation (S. 495). 
        • Forderung: Wissenschaft muss auch ethisch begründet werden („Primat der Verantwortung vor der Wissenschaftstheorie“, Danner 1985) (S. 495). 

        Mollenhauer


        „Für die Erziehungswissenschaft konstitutiv ist das Prinzip, das besagt, dass Erziehung und Bildung ihren Zweck in der Mündigkeit des Subjekts haben; dem korrespondiert, dass das erkenntnisleitende Interesse der Erziehungswissenschaft das Interesse an Emanzipation ist“ (Mollenhauer, 1968/77).

        • Erziehung und Bildung haben einen Zweck
          → Dieser Zweck ist nicht bloß „Wissen vermitteln“ oder „Fähigkeiten trainieren“, sondern die Mündigkeit (vergleiche hierzu auch Kant) des Subjekts.
          Mündigkeit meint hier: selbstständig denken und urteilen können, eigenverantwortlich handeln, kritisch mit Informationen umgehen, Entscheidungen bewusst treffen – also ein autonomes, reflektiertes Leben führen.
        • Das erkenntnisleitende Interesse der Erziehungswissenschaft
          → Damit ist gemeint: Jede Wissenschaft hat (bewusst oder unbewusst) ein bestimmtes Grundinteresse, das ihr Handeln und Forschen leitet (vgl. Habermas’ Konzept der „Erkenntnisinteressen“).
          → In der Erziehungswissenschaft ist dieses leitende Interesse Emanzipation (lat. „Emanzipatio“ = Freilassung) – also die Befreiung des Menschen aus Abhängigkeiten, Bevormundung und unmündigen Zuständen.
          → Das Ziel ist, Bedingungen zu schaffen oder zu stärken, die Menschen ermöglichen, sich aus Fremdbestimmung zu lösen.
        • Konkret heißt das:
          • Erziehungswissenschaft soll nicht nur beschreiben, was ist, sondern auch fragen, wie es besser sein könnte – immer im Sinne der Förderung von Selbstbestimmung.
          • Sie darf nicht neutral gegenüber gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen bleiben, sondern muss diese kritisch analysieren.
          • Sie ist normativ – sie hat eine Zielvorstellung: die Entwicklung mündiger, selbstbestimmter und sozial verantwortlicher Subjekte.

        Kennmerkmale  zu Mollenhauers Theorie 


        Teil der kritischen Erziehungswissenschaft 

        Ab Mitte der 1960er-Jahre wandte sich Mollenhauer der Kritischen Theorie (Habermas, Frankfurter Schule) zu.
        Er forderte, dass Pädagogik nicht nur die Realität beschreibt (wie in der geisteswissenschaftlichen Tradition), sondern sie auch kritisch hinterfragt und gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsstrukturen analysiert.
        → Sein Ziel war Emanzipation: Erziehung soll Menschen befähigen, selbstständig zu denken und gesellschaftliche Zustände zu verändern.

        Erziehung und Emanzipation (1968)

         

        Konzentration auf Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge 

        Mollenhauer wollte die gesellschaftlichen Bedingungen und Ursachen von Erziehungsprozessen sichtbar machen.
        Er untersuchte, wie soziale Strukturen, ökonomische Verhältnisse und Machtmechanismen Erziehung prägen.
        Beispiel: Ungleiche Bildungschancen → gesellschaftliche Ursache (soziale Schichtung) → pädagogische Aufgabe (Chancengleichheit fördern).
        → Diese analytische Perspektive ist ein Kern der Kritischen Erziehungswissenschaft.
        Einführung in die Sozialpädagogik (1964) – Analyse der Jugendhilfe im Kontext der industriellen Gesellschaft.

         

        Argumentation, Reflexion & Emanzipation

        Für ihn war Pädagogik eine argumentative und reflexive Disziplin.

        • Argumentation: Pädagogik muss rational begründet werden, nicht auf Tradition oder Autorität basieren.

        • Reflexion: PädagogInnen müssen ihre eigene Rolle, ihre Ziele und die gesellschaftlichen Bedingungen ständig hinterfragen.

        • Emanzipation: Pädagogik muss auf die Befreiung von Abhängigkeiten und Fremdbestimmung zielen.
          → Hier schließt er direkt an Habermas’ Konzept der herrschaftsfreien Kommunikation an.

         

        Erziehung auf interpersonaler Ebene: Erziehung als Wechselspiel zwischen Erzieher und Zögling im Kontext der gesellschaftlichen Umwelt 

        Erziehung ist für ihn immer ein soziales Wechselspiel zwischen Erzieher und Zögling – nie ein einseitiger Prozess.
        Dieses Wechselspiel findet im Kontext der gesellschaftlichen Umwelt statt:
        → Das bedeutet: Auch wenn Erziehung zwischen zwei Menschen passiert, ist sie immer durch soziale Normen, Kultur, Politik und Ökonomie beeinflusst.
        → Hier bringt Mollenhauer Einflüsse des symbolischen Interaktionismus (G. H. Mead) ein: Identität entsteht im sozialen Austausch.

         

        Erziehungswissenschaft als Handlungswissenschaft: Erziehung als kommunikatives Handeln zwischen Erwachsenen und sich entwickelnden Subjekten 

        Mollenhauer versteht Erziehung nicht als bloße Theorie, sondern als praxisorientierte Handlungswissenschaft:

        • Erziehung ist kommunikatives Handeln (Habermas): Austausch zwischen Erwachsenen und sich entwickelnden Subjekten.

        • Ziel ist nicht nur Wissensvermittlung, sondern Selbstwerdung und gesellschaftliche Teilhabe.

        • Handlungswissenschaft bedeutet: Pädagogik muss Orientierungen für das konkrete Handeln im Alltag geben.

        Kuhlmann, C. (2013). Erziehung und Bildung: Einführung in die Geschichte und Aktualität pädagogischer Themen. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 217-224.

        Erziehung als Kommunikation und Emanzipation


        Klaus Mollenhauer war einer der bedeutendsten Erziehungswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Er verstand Erziehung nicht als bloße Maßnahme zur Anpassung oder zur Verhaltensänderung von Kindern, sondern als kommunikativen und emanzipatorischen Prozess, in dem junge Menschen zu mündigen, selbstbestimmten Individuen heranwachsen sollen. Dabei war es ihm wichtig, dass Erziehung immer auch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang stattfindet – also nicht losgelöst von sozialen Ungleichheiten, kulturellen Normen oder politischen Machtverhältnissen gedacht werden kann.

        Ein zentrales Anliegen Mollenhauers war die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle von Erziehung in modernen Gesellschaften. Er wollte nicht nur beschreiben, wie Erziehung funktioniert, sondern auch fragen, wozu sie dient – und ob sie im Sinne der jungen Menschen gerecht ist. Dabei griff er auf Denkansätze der kritischen Theorie (z. B. Adorno, Habermas), der Kommunikationstheorie und der Soziologie (z. B. Bourdieu, Mead) zurück.

        Für Mollenhauer ist Erziehung immer auch ein Gespräch – ein Prozess der gegenseitigen Verständigung zwischen Erwachsenen und Kindern. Kinder sind für ihn keine bloßen Objekte, die geformt oder gesteuert werden sollen, sondern Subjekte mit eigener Würde, die ernst genommen und beteiligt werden müssen. Er betonte, dass sich Kinder in Beziehungen entwickeln – nicht nur durch Worte, sondern durch das tägliche Miteinander, durch Vorbilder, durch geteilte Erfahrungen. Gerade deshalb war ihm auch wichtig, dass nicht nur explizite Erziehungsmaßnahmen, sondern auch der gelebte Alltag eine zentrale Rolle im Aufwachsen spielt.

        Mollenhauer kritisierte jedoch auch andere wissenschaftliche Erziehungskonzepte – besonders das von Wolfgang Brezinka. Ihm warf er vor, Erziehung rein funktional und normfrei zu denken – also als zielgerichtete Handlung, die psychische Dispositionen verändern soll, ohne sich mit der Frage zu beschäftigen, ob diese Ziele gerecht, sinnvoll oder menschlich sind.

        Unterschied zwischen Mollenhauer und Brezinka

        Während Brezinka Erziehung als eine soziale Handlung mit Förderungsabsicht beschreibt – also als Versuch, durch gezieltes Handeln bestimmte Einstellungen oder Fähigkeiten bei einem Kind aufzubauen oder zu erhalten –, legt Mollenhauer den Fokus auf die Beziehung und Kommunikation. Für Brezinka steht im Mittelpunkt, was getan wird und mit welchem Ziel; für Mollenhauer dagegen ist entscheidend, wie Erziehung erlebt wird – nämlich als Teil eines gemeinsamen Lebens- und Lernprozesses.

        Zudem blendet Brezinka gesellschaftliche Machtverhältnisse weitgehend aus. Er fragt nicht, ob Erziehung soziale Ungleichheiten verstärkt oder ob sie bestimmte Kinder benachteiligt. Mollenhauer hingegen hält genau das für zentral: Erziehung müsse immer auch die gesellschaftlichen Bedingungen reflektieren, unter denen Kinder aufwachsen. Nur so könne sie dazu beitragen, dass Kinder nicht einfach zu „Funktionierenden“ gemacht werden, sondern zu Menschen, die frei, kritisch und selbstbewusst handeln können.

         

        Zusammengefasst lässt sich sagen: Brezinka betrachtet Erziehung als einen zielgerichteten Versuch der Persönlichkeitsförderung – neutral, geplant und auf Wirkung bedacht. Mollenhauer hingegen sieht in Erziehung einen offenen, dialogischen Prozess, der nicht nur Verhalten beeinflussen, sondern vor allem Beteiligung, Emanzipation und Menschlichkeit ermöglichen soll. Damit bringt Mollenhauer eine wichtige ethische und gesellschaftskritische Perspektive in die pädagogische Theorie ein, die bis heute aktuell ist.

        Niemeyer & Rautenberg (2006)

        Zentrale Idee: Wer war Klaus Mollenhauer und was wollte er?

        Klaus Mollenhauer (1928–1998) war ein einflussreicher deutscher Erziehungswissenschaftler, der im Laufe seines Lebens verschiedene pädagogische Paradigmen durchlaufen und mitgeprägt hat. Er war anfangs von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik beeinflusst, hat sich später kritisch davon abgegrenzt und dann neue Wege gesucht, wie man über Erziehung nachdenken kann – unter anderem durch sozialwissenschaftliche, politische und ästhetische Zugänge.

        Frühphase: Geisteswissenschaftliche Pädagogik (1950er–1960er)

        In seinen frühen Schriften (z. B. Die Ursprünge der Sozialpädagogik, 1959 und Einführung in die Sozialpädagogik, 1964) ordnet sich Mollenhauer noch der geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu. Er beschreibt Sozialpädagogik als ein Teilgebiet der Erziehungswissenschaft, das sich mit bestimmten Einrichtungen und Aufgaben beschäftigt.

        Wichtig: Mollenhauer wird später selbstkritisch und distanziert sich von diesen frühen Arbeiten. Er sagt sogar, dass sie nur noch zur kritischen Auseinandersetzung taugen.

        Umbruch: Kritik an der traditionellen Pädagogik (ab ca. 1964)

        Mit dem Buch Erziehung und Emanzipation (1968) schlägt Mollenhauer einen neuen Weg ein. Er kritisiert die geisteswissenschaftliche Pädagogik als nicht mehr zeitgemäß, da sie zu stark auf „pädagogische Beziehungen“ wie das Verhältnis zwischen Erzieher und Kind fokussiert sei – und dabei die gesellschaftlichen Bedingungen von Erziehung außer Acht lasse.

        Er fordert eine kritische Erziehungswissenschaft, die gesellschaftliche Ungleichheiten erkennt und Erziehung als Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung begreift.

        Orientierung an kritischer Theorie und Empirie (1970er Jahre)

        In dieser Phase arbeitet Mollenhauer mit Begriffen der Kritischen Theorie, des Marxismus und der Psychoanalyse (z. B. Freud). Er betont, dass Pädagogik nicht einfach neutral ist, sondern immer gesellschaftlich eingebettet und oft auch ein Instrument zur Anpassung an bestehende Machtverhältnisse.

        Er fordert, dass Empirie und Sozialwissenschaften (z. B. Soziologie) stärker berücksichtigt werden müssen – allerdings nicht blind, sondern mit einer kritischen Haltung.

        Neue Themen: Ästhetik, Sprache und kulturelle Bildung (1980er–1990er Jahre)

        Mit dem Buch Vergessene Zusammenhänge (1983) beginnt Mollenhauer eine neue Phase: Er beschäftigt sich mit ästhetischer Bildung, autobiographischer Erinnerung und dem Zusammenhang zwischen Sprache, Kunst und Erziehung.

        Er glaubt, dass Pädagogik nicht alles mit wissenschaftlichen Begriffen erklären kann – manche Dimensionen, z. B. das Selbstbild eines Kindes oder ästhetische Erfahrungen, lassen sich besser mit Literatur, Kunst oder autobiographischen Texten erfassen.

        Er verwendet nun öfter auch literarische Quellen wie Thomas Bernhard, Kafka oder Thomas Mann, um pädagogische Phänomene zu beschreiben und zu deuten.

        Spätphase: Hermeneutik und Rückbezug auf Schleiermacher

        Mollenhauer kommt später wieder näher an hermeneutisches Denken heran – also an das Verstehen von Sinn und Bedeutung, wie es die klassische geisteswissenschaftliche Pädagogik (z. B. Nohl, Weniger, Schleiermacher) forderte.

        Allerdings betont er: Nicht die „reine pädagogische Gesinnung“ (wie bei Nohl), sondern das Verstehen gesellschaftlicher Zusammenhänge und die Frage nach Verantwortung und Gerechtigkeit sind entscheidend.

        Seine Kritik an der Sozialpädagogik

        Mollenhauer war in der Sozialpädagogik zunächst stark präsent, dann aber zunehmend skeptisch. Er kritisierte, dass sich die Sozialpädagogik zu sehr zwischen Soziologie und Therapie bewege und dabei ihren pädagogischen Kern verliere.

        Dennoch hatte er mit seinem Konzept der „sozialpädagogischen Diagnose“ (gemeinsam mit Uhlendorff) Einfluss – er forderte, dass Fachkräfte bewusst und reflektiert mit biografischen und alltagsbezogenen Informationen über ihre Klient*innen umgehen.

        Was bleibt von Mollenhauer?

        Mollenhauer war ein kritischer Denker, der keine festen Systeme bauen wollte, sondern immer neue Fragen stellte. Er war weder dogmatisch noch modisch – vielmehr suchte er nach Wege, um Pädagogik gesellschaftlich verantwortungsvoll und menschlich zu denken.

        Er wird heute als Brückenbauer zwischen geisteswissenschaftlicher Tradition und kritischer, sozialwissenschaftlich orientierter Erziehungswissenschaft gesehen. Seine Themen wie Emanzipation, Bildung als Selbsttätigkeit, ästhetische Erfahrung, pädagogische Verantwortung und kulturelles Gedächtnis sind heute aktueller denn je.

         

         

        "Pädagogik muss an kultureller und biographischer Erinnerung arbeiten, sie muss die zukunftsfähigen Prinzipien darin aufsuchen und dafür eine der Sache angemessene Sprache finden."
        (Vergessene Zusammenhänge, 1983)

        s Mollenhauer (1928–1998) zählt zu den bedeutendsten Erziehungswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Er verstand Pädagogik als eine reflexive Praxis, die stets gesellschaftlich, kulturell und historisch eingebettet ist. In seinem Denken durchlief er mehrere Phasen: von einer anfänglichen Nähe zur geisteswissenschaftlichen Pädagogik, über eine Phase der kritischen Abgrenzung hin zu einer eigenständigen Theorie, die kulturelle Bildung, soziale Verantwortung und ästhetische Erfahrung miteinander verbindet.

        Ein zentrales Anliegen Mollenhauers war es, Pädagogik nicht als rein theoretische Disziplin zu begreifen, sondern als Theorie der Praxis. Pädagogik soll helfen, Erziehungshandeln kritisch zu verstehen, zu begründen und verantwortlich zu gestalten. Pädagogik, so Mollenhauer, ist kein Selbstzweck, sondern immer Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit – sie wirkt auf Subjekte ein, die in sozialen und kulturellen Kontexten handeln und sich entwickeln.

        In seinem einflussreichen Werk Vergessene Zusammenhänge (1983) stellt Mollenhauer die grundlegende Frage: „Was ist der Sinn von Erziehung, wenn man ein Kind erzieht?“ Seine Antwort darauf ist vielschichtig, aber eindeutig: Erziehung bedeutet, einem Menschen zu helfen, sich mit der Welt auseinanderzusetzen – insbesondere mit den kulturellen, sozialen und biografischen Dimensionen seines Lebens. Erziehung ist für ihn nicht einfach die Weitergabe von Wissen oder Normen, sondern ein Prozess der Verarbeitung kultureller Bedeutung in biografischen Zusammenhängen. Der Mensch wird als ein Wesen verstanden, das sich selbst in Bezug zur Welt bildet, indem es Bedeutungen interpretiert, Geschichten versteht und Symbole deutet.

        Mollenhauer grenzt sich dabei bewusst von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik ab, wie sie etwa von Nohl oder Weniger vertreten wurde. Er kritisiert deren idealisierte Vorstellung eines harmonischen pädagogischen Verhältnisses zwischen Erzieher und Zögling. Dieses sogenannte „pädagogische Bezugssystem“ greife zu kurz, da es die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, sozialen Ungleichheiten und politischen Rahmenbedingungen pädagogischen Handelns weitgehend ausblende. Erziehung, so Mollenhauer, geschieht nie im luftleeren Raum, sondern ist immer Teil historischer und gesellschaftlicher Prozesse – und muss daher auch politisch reflektiert werden. Entsprechend spricht er sich für eine Kritische Erziehungswissenschaft aus, die nicht nur Bestehendes deutet, sondern auch zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen will.

        In späteren Jahren öffnete Mollenhauer die Erziehungswissenschaft verstärkt für ästhetische und sprachliche Dimensionen. In Grundfragen ästhetischer Bildung (1996) rückt er die Bedeutung von ästhetischer Erfahrung und kultureller Ausdrucksformen wie Literatur, Musik oder Bildender Kunst in den Mittelpunkt. Diese seien besonders geeignet, das Unsagbare, das Unaussprechliche in menschlichen Bildungsprozessen zur Sprache zu bringen – Aspekte also, die sich der rein begrifflich-analytischen Rede entziehen. Für Mollenhauer ist Bildung nicht nur rational, sondern auch sinnlich, erzählerisch und symbolisch.

        Charakteristisch für Mollenhauers Spätwerk ist sein Versuch, die Sprache der Pädagogik neu zu justieren: Weg vom wissenschaftlich-technischen Jargon, hin zu einer Sprache, die Erinnerung, Erfahrung und kulturelle Deutung wieder stärker ins Zentrum rückt. So verweist er auf die Notwendigkeit, dass Pädagogik „an kultureller und biographischer Erinnerung arbeiten“ müsse, um daraus „zukunftsfähige Prinzipien“ zu entwickeln – und dafür eine „der Sache angemessene Sprache“ zu finden (Mollenhauer 1983, 10).

        Zusammenfassend lässt sich sagen: Klaus Mollenhauer verstand Erziehung als ein komplexes, kulturell und gesellschaftlich vermitteltes Geschehen, das immer auch normativ begründet werden muss. Seine Theorie zielt nicht auf klare Anweisungen für die Praxis, sondern auf ein tiefes Nachdenken über Sinn, Ziel und Verantwortung pädagogischen Handelns. Bildung bedeutet bei ihm immer auch Selbstbildung – verstanden als das Bemühen, in Auseinandersetzung mit der Welt und ihrer Geschichte eine eigene Haltung zu entwickeln.