Köller, O.: Standardsetzung Bildungssystem. In: Reinders, H. (2015): Empirische Bildungsforschung. Strukturen und Methoden. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.S. 179-212

Olaf Köller (2015): Standardsetzung im Bildungssystem – Zusammenfassung

1. Allgemeines und Definition

  • Bildungsstandards wurden 2003/2004 von der Kultusministerkonferenz (KMK) eingeführt – für Primar- und Sekundarstufe I.

  • Sie sind normativ gesetzte Zielgrößen, die zur Qualitätssicherung und -entwicklung des Bildungssystems dienen sollen.

  • Wege zum Erreichen der Standards sind den Schulen teils freigestellt.

  • Entstehung der Standards ist ein Aushandlungsprozess zwischen Politik, Schulpraxis und Wissenschaft.

  • Unterscheidung in drei Typen:

    • Inhaltliche Standards: Was soll gelernt werden?

    • Leistungsstandards: Wie gut sollen Leistungen erbracht werden?

    • Unterrichtsstandards: Wie soll Unterricht gestaltet sein?

Zusätzlich gibt es auf Systemebene Inputstandards (z. B. Bildungsinvestitionen).

2. Bildungsstandards in Deutschland

  • Standards wurden für bestimmte Zeitpunkte definiert:

    • Ende der 4. Klasse (Primarstufe)

    • Ende der Sekundarstufe I (Haupt- oder Mittlerer Schulabschluss)

    • Ende der gymnasialen Oberstufe (Abitur)

  • Fächer: Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch, Naturwissenschaften (Bio, Chemie, Physik)

  • Formulierung als „Can-do-Statements“ (anlehnend an den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen – GER)

3. Bildungsstandards, Kompetenzen und Kompetenzstrukturmodelle

  • Kompetenzen = hypothetische Konstrukte aus Fähigkeiten und Fertigkeiten (Weinert 2001), die für das Lösen von Aufgaben notwendig sind.

  • Drei Kompetenzbereiche:

    • Kommunikative Fertigkeiten (Lesen, Hören, Sprechen, Schreiben etc.)

    • Interkulturelle Kompetenzen (Haltungen, Werte, sozial-kulturelle Orientierung)

    • Methodische Kompetenzen (z. B. Selbstregulation, Lerntaktiken)

  • Wichtig ist die empirische Überprüfung von Kompetenzstrukturmodellen, z. B. zeigte sich, dass Lese- und Hörverstehen stark korrelieren.

4. Messung von Kompetenzen

  • Ziel: Überprüfung, ob Bildungsstandards erreicht werden – mithilfe valider Testinstrumente.

  • Herausforderung: Entwicklung vieler hochwertiger Testitems pro Teilkompetenz.

  • Sieben Schritte zur Überprüfung von Bildungsstandards:

    1. Präzisierung der Kompetenzdefinition

    2. Konstruktion von Itemrichtlinien

    3. Schulung von Lehrkräften zur Itemerstellung

    4. Expertenbegutachtung

    5. Empirische Erprobung

    6. Normierung (Skala M = 500, SD = 100)

    7. Einsatz in Ländervergleichen

5. Definition von Kompetenzstufen und Standardsetzung

  • Einführung von Kompetenzskalen mit Cut Scores zur Unterscheidung von Kompetenzniveaus.

  • Beispiel für Englisch (Leseverstehen):

    • A1: <400 Punkte

    • A2: 400–499

    • B1: 500–599

    • B2: 600–699

    • C1: ≥700

  • Schüler:innen mit Hauptschulabschluss meist bei A1–A2, mit mittlerem Abschluss oft A2–B2.

  • Unterschiedliche Niveaus innerhalb von Schularten erkennbar.

  • Standard Setting = Definition von Grenzwerten (Cut Scores) zur Einteilung der Skala in Kompetenzstufen.

  • Dabei stets politische und normative Einflüsse wirksam.

5.2 Mindest-, Regel- und Maximalstandards

  • Mindeststandards: Basisniveau – alle sollen es erreichen (z. B. für Übergänge ins Berufsleben oder Sek I).

  • Regelstandards: Durchschnittsniveau, das die Mehrheit erreichen soll.

  • Maximalstandards: Höchste Leistung unter idealen Bedingungen – gehen über KMK-Ziele hinaus.

6. Bildungsstandards und Unterricht

  • Bildungsstandards erfordern kompetenzorientierten und kognitiv aktivierenden Unterricht.

  • Standards allein wirken nicht – es braucht konkrete Unterrichtsreformen.

  • Umsetzung bislang verhalten.

  • Maßnahmen zur Lehrerprofessionalisierung:

    • Information und Schulung über Bildungsstandards

    • Dezentrale Fortbildungen (z. B. SINUS-Programme)

    • Zusammenarbeit in schulischen Fachgruppen

    • Kommunikation mit Eltern über Standards und deren Bedeutung

Klieme & Oelkers (2005), Bildungsstandards dafür, S. 6-7, 18-19

Bildungsstandards – Was sie leisten können und warum sie wichtig sind


Was sind Bildungsstandards überhaupt?

Der Begriff „Standard“ klingt im Bildungsbereich für viele erst einmal nach Einheitsbrei und Einschränkung. Dabei geht es bei Bildungsstandards nicht um starre Gleichmacherei, sondern um klare und überprüfbare Ziele, die Lernprozesse strukturieren und Qualität sichern sollen. Bildungsstandards sind also keine Fesseln, sondern Orientierungshilfen – für Lehrkräfte, Schulen und Bildungspolitik.

Man kann auch sagen = normativ gesetzte Zielgrößen, die in einem Bildungssystem erreicht werden sollen. 

 

Woher kommt das Konzept?

Ursprünglich stammen Bildungsstandards aus England und den USA. Dort wurden sie eingeführt, um auf schwache Bildungsergebnisse zu reagieren.
In England legte die Schulaufsicht OFSTED Standards in Kombination mit nationalen Curricula und Vergleichstests fest. In den USA entstanden sogenannte content standards (Was soll gelernt werden?) und performance standards (Welches Leistungsniveau wird erwartet?) – als Ersatz für zentrale Lehrpläne.
Ziel war in beiden Ländern: mehr Transparenz, mehr Vergleichbarkeit, mehr Qualität.

Auch andere Länder wie die Niederlande oder skandinavische Staaten nutzten Standards als Grundlage für Reformen – sie bezogen auch Lehrkräfte, Eltern und Schulinspektionen mit ein.

Und Deutschland?

In Deutschland fehlte lange der Mut zu klaren Zielvorgaben. Erst nach dem „PISA-Schock“ 2001 änderte sich das. Die Kultusministerkonferenz (KMK) führte Bildungsstandards ein, um das Bildungssystem zu modernisieren. Allerdings war die Herausforderung groß: Lehrpläne existierten zwar, wurden aber oft nicht wirklich im Unterricht gelebt. Standards sollten deshalb als Entwicklungsimpuls und nicht als Kontrollinstrument verstanden werden.

 

Was müssen gute Bildungsstandards leisten?

Laut Oelkers (2005) sollten Standards…

  • klar definiert und verständlich sein,

  • unterrichtsbezogen formuliert sein,

  • realistisch und erreichbar bleiben,

  • eingegrenzt werden können,

  • überprüfbar sein.

 

Diane Ravitch (1995) unterscheidet drei wesentliche Dimensionen:

  • Content Standards – Was soll gelernt werden?

  • Performance Standards – Welches Niveau soll erreicht werden?

  • Opportunity-to-Learn Standards – Welche Lernbedingungen sind vorhanden?

Warum reicht es nicht, nur Standards festzulegen?

Standards allein machen noch keine gute Schule. Sie müssen Teil einer umfassenden Schulentwicklung sein, die von professioneller Lehrerbildung, einer modernen Schulorganisation und einer echten Feedbackkultur begleitet wird. Denn: Schulqualität ist dynamisch – sie entsteht in Prozessen, nicht auf dem Papier.

 

Fazit

Wofür sind Bildungsstandards gut?


  • Sie schaffen Transparenz,
  • formulieren verbindliche Erwartungen,

  • ermöglichen Vergleichbarkeit,

  • und sind ein zentraler Bestandteil qualitätsorientierter Schulentwicklung.

Aber nur wenn sie mit pädagogischer Verantwortung, ausreichenden Ressourcen und einer offenen Haltung zur Weiterentwicklung zusammengedacht werden, können sie wirklich etwas bewegen.

Bildungsstandards + pädagogische Freiheit = nachhaltige Qualität.

Good to know...

in Deutschland: 

  • 2003/2004: Beschluss aller 16 Bundesländer zur Formulierung von Bildungsstandards
  • Formulierung als "Can-do-Statements"
  • Entstehung infolge eines Aushandlungsprozesses zwischen Politik, Schulpraxis und Wissenschaft (Köller, 2015)
  • Zu unterscheiden gilt es drei Kompetenzbereiche: 
    • kommunikative Fähigkeiten 
    • interkulturelle Fähigkeiten 
    • methodische Kompetenz 

Was ist der Unterschied zwischen Lehrplan und Bildungsstandards?

Der Lehrplan legt verbindlich fest, welche Inhalte in welcher Jahrgangsstufe unterrichtet werden sollen. Er ist länderspezifisch und wird für die einzelnen Schularten separat entwickelt. Der Lehrplan orientiert sich also am Lernweg innerhalb der Schulzeit und beschreibt, was im Verlauf des Unterrichts zu lernen ist.

Die Bildungsstandards hingegen beschreiben übergreifende Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler bis zu einem bestimmten Bildungsabschluss (z. B. Hauptschulabschluss, Mittlerer Schulabschluss oder Abitur) erreicht haben sollen. Sie gelten bundesweit und konzentrieren sich stärker auf das Ergebnis des Lernprozesses – also darauf, was die Lernenden am Ende können sollen, unabhängig davon, wie der Weg dorthin im Detail ausgestaltet ist.