isb (2006): Kompetenzen... mehr als Nur Wissen!
Bildungsziele
Bildung = Wert an sich (vergleiche Humboldt)
Kompetenzen = Anwendbarkeit von Kenntnissen und Fertigkeiten
= Konkrete Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen (Äußerung in tatsächlich erbrachter Leistung) (isb, 2006, S.1)
Zum Kompetenzbegriff selbst formuliert Weinert:
Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S. 27 f.).
Allgemein zu Kompetenzen...
Oftmals ist es so, dass übergreifende Fähigkeiten oder Kompetenzen nicht isoliert vermittelt werden können... - sondern mit inhaltlichem Bezug.
Die KMK hat 2004 den Kompetenzbegriff von Weinert übernommen und darauf aufbauend die vier Kompetenzdimensionen der Handlungskompetenz formuliert:
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Fachkompetenz (Sachwissen, Fähigkeiten) → kognitive Aspekte
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Methodenkompetenz → Problemlösefähigkeiten, Strategien
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Sozialkompetenz → Umgang mit anderen
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Selbstkompetenz → Motivation, Selbststeuerung, Verantwortung
Diese vier Bereiche entsprechen also den Bestandteilen des Weinert’schen Kompetenzbegriffs – sie konkretisieren ihn für den schulischen Kontext.
Abgrenzung zur Qualifikation...
Kompetenz = "individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten"
Qualifikation = "konkrete, personenunabhängige Befähigung bzw. Eignung [...], eine Tätigkeit regelmäßig auf einem bestimmten Niveau ausführen zu können."
(isb, 2006, S.1)
-> Kompetenzen als "Voraussetzung für den Erwerb von Qualifikationen"
(denn häufig Qualifikation = Nachweis einer Befähigung -> bspw. fachliche Eignung für einen Beruf (Bachelor, Master))
(isb, 2006, S.2)
Handlungskompetenz
"die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten." (KMK 2004, S.9)
Entfaltung in verschiedene Dimensionen:
- "Fachkompetenz"
- "Humankompetenz"
- "Sozialkompetenz"
Integrale Bestandteile hierbei:
- "Methodenkompetenz"
- "kommunikative Kompetenz"
- "Lernkompetenz
(isb, 2006, S.2)
Schlüsselkompetenzen
"Kompetenzen, die für die persönliche und soziale Entwicklung eines jeden Menschen in modernen Gesellschaften wesentlich sind."
(isb, 2006, S.2)
Beispiele für Schlüsselkompetenzen sind: logisches Denken, Problemlösefähigkeiten (allgemein bzw. fächerübergreifende Kompetenzen), aber auch fach- bzw. inhaltsbezogene Kompetenzen
Kompetenzbreiche
= "sind die verschiedenen Teildimensionen eines Fachs bzw. Lernbereichs" (Aufbau von Fähigkeiten über einen längeren Zeitraum)
Kompetenzstufen
= "für jeden Kompetenzbereich unterschiedliche Niveaus
(isb, 2006, S.2)
Allgemeine Bildungsziele
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Erwerb intelligenten Wissens
→ Aufbau eines verstehenden, vernetzten Wissens – nicht nur auswendig lernen, sondern Zusammenhänge verstehen, Wissen strukturieren und sinnvoll anwenden können.
Beispiel: Verstehen, warum ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang gilt, nicht nur dass er gilt. -
Erwerb anwendungsfähigen Wissens
→ Wissen so lernen, dass es in neuen Situationen praktisch angewendet werden kann.
Beispiel: Mathematische Strategien nicht nur im Unterricht, sondern auch im Alltag anwenden. -
Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen
→ Erwerb von überfachlichen Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeit.
→ Diese Qualifikationen sind in allen Lebens- und Lernbereichen einsetzbar. -
Erwerb von Lernkompetenz
→ Schülerinnen und Schüler lernen, wie man lernt: Lernstrategien, Selbststeuerung, Motivation, Umgang mit Misserfolgen.
→ Zielt auf lebenslanges Lernen. -
Erwerb sozialer Kompetenzen
→ Fähigkeit, mit anderen konstruktiv und respektvoll umzugehen, Teamfähigkeit, Empathie, Konfliktlösung.
→ Auch Teil der sozialen Dimension der Handlungskompetenz. -
Erwerb von Wertorientierung
→ Entwicklung eines ethischen Bewusstseins, Urteilsfähigkeit, Übernahme von Verantwortung, demokratische Grundhaltungen.
→ Ziel: Persönlichkeitsbildung und reflektierte Teilhabe an Gesellschaft.
Diese sechs Punkte beschreiben zentrale Bildungs- und Kompetenzziele im schulischen Kontext, die über reine Fachinhalte hinausgehen und auf die umfassende Persönlichkeitsentwicklung abzielen.
Öffentliche Ziele (Giesecke, 2004)
- Mündigkeit (Verantwortung)
- Partizipation (Recht auf Teilhabe an politischen, kulturellen, beruflichen Angeboten)
- Emanzipation (Versuch der Verbindung von Mündigkeit und Partizipation)

Individualisierung von Bildung...
Die Individualisierung von Bildung ist eine der zentralen Herausforderungen des modernen Bildungssystems. Bildung wird zunehmend als subjektorientierter Prozess verstanden: Sie vollzieht sich in der Auseinandersetzung des Einzelnen mit sich selbst, seiner Umwelt und den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er lebt. Jede*r Lernende bringt dabei individuelle Voraussetzungen, Erfahrungen, Interessen und Lernwege mit. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer stärkeren Individualisierung von Bildungsprozessen, also der Anpassung schulischer Lernangebote an die jeweiligen Bedürfnisse des Subjekts. Dies betrifft nicht nur Inhalte und Methoden, sondern auch zeitliche, räumliche und soziale Aspekte des Lernens.
Ein zentrales Problem stellt dabei die Differenzierung im Schulalltag dar. Denn Bildung findet in der Schule im Rahmen einer festen Organisationsstruktur und in heterogenen Lerngruppen statt. Heterogenität zeigt sich dabei in vielen Strukturelementen: in der kognitiven Leistungsfähigkeit, im sprachlichen Hintergrund, in der sozialen Herkunft, im Geschlecht sowie in den motivationalen und emotionalen Voraussetzungen der Schüler*innen. Die didaktische Frage lautet: Wie kann Schule mit dieser Vielfalt umgehen, ohne entweder auf Nivellierung oder Überforderung hinauszulaufen?
In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf Ulrich Becks Theorie der „Risikogesellschaft“ (1986) aufschlussreich. Beck beschreibt, wie in der Spätmoderne traditionelle Sicherheiten wegfallen und das Individuum in zunehmendem Maße selbst für seine Lebensgestaltung verantwortlich wird. Bildung wird dabei zu einem zentralen Mechanismus gesellschaftlicher Teilhabe: Das Versprechen lautet, dass mit einem bestimmten Abschluss auch bestimmte gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten einhergehen – also beispielsweise ökonomische Sicherheit, politische Partizipation oder kulturelle Integration. Bildung wird so zur individuellen Risikoprävention: Wer sich „gut“ bildet, minimiert das Risiko gesellschaftlich zu scheitern.
Doch die Kehrseite dieser Freiheit liegt im wachsenden Risiko. In postmodernen, liberalisierten Gesellschaften – wie etwa in den USA – haben Individuen formell große Wahlfreiheiten hinsichtlich Bildungswegen und Lebensmodellen. Gleichzeitig wächst das Risiko falscher Entscheidungen, das Versagen wird dem Individuum selbst zugeschrieben. Die Folge ist eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung: Wer Bildungsentscheidungen nicht erfolgreich meistert, droht marginalisiert zu werden. Damit stellt sich die Frage, wie ein Bildungssystem gestaltet sein muss, das sowohl individuelle Freiheitsansprüche als auch gesellschaftliche Kohäsion ernst nimmt.
In der Pädagogik führt diese Entwicklung zum sogenannten Individualisierungsparadox: Je stärker Bildung individualisiert wird, desto mehr droht der Verlust gemeinsamer Strukturen und normativer Bezugspunkte. Wird Bildung ausschließlich als individueller Prozess begriffen, entfällt der gemeinsame soziale Raum, in dem Bildung überhaupt erst Sinn und Relevanz entfalten kann. Marotzki (1990) warnt vor einem radikal individualisierten Bildungsverständnis, in dem es letztlich keinen gemeinsamen Unterricht mehr gibt, sondern nur noch private Lernprozesse. Doch Bildung ist – und bleibt – ein sozialer Vorgang. Sie ist eingebettet in gesellschaftliche Kontexte und auf gemeinsame Werte, Inhalte und Ziele angewiesen.
Die Schulpflicht beispielsweise kann in diesem Zusammenhang als verpflichtender Rahmen für eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten interpretiert werden. Sie zwingt das Subjekt, sich mit Pluralität auseinanderzusetzen und einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Damit ist Schule ein Ort, an dem individuelle und kollektive Bildungsprozesse miteinander verwoben werden.
Die empirische Bildungsforschung bestätigt allerdings, dass individualisierter Unterricht in der Praxis bislang nur geringe Wirkung auf die Schulleistungen zeigt. Die vielzitierte Hattie-Studie (2013) kommt zu dem Ergebnis, dass die Effektstärke individualisierten Unterrichts bei lediglich d = 0,23 liegt – weit unter dem Schwellenwert von d = 0,40, der als „wirksam“ gilt. Auch Beywl und Zierer (2018) bestätigen diese geringe Effektstärke. Zwei mögliche Deutungen sind denkbar: Entweder ist Individualisierung in der schulischen Praxis tatsächlich kaum wirksam – oder aber Lehrkräfte sind derzeit (noch) nicht ausreichend qualifiziert, um qualitativ hochwertigen individualisierten Unterricht zu gestalten. Hattie betont in diesem Zusammenhang die entscheidende Rolle der Lehrerprofessionalität: Die Qualität der Lehrkraft sei der wichtigste Einflussfaktor für den Lernerfolg.
Differenzierung muss deshalb vielfältig gedacht werden. Sie kann zeitlich (etwa über individuelle Lernzeiten), räumlich (durch flexible Lernräume) und sozial (über gemischte Lerngruppen) erfolgen. Eine didaktisch sinnvolle Differenzierung besteht nicht in völliger Vereinzelung, sondern im Aufbau strukturierter Lernarrangements, etwa durch Arbeitsgruppen, in denen leistungsstärkere und -schwächere Schüler*innen gemeinsam lernen. Gruppen können zunächst frei gewählt werden (z. B. durch Freundschaften), dann aber gezielt im Sinne einer Balance aus Heterogenität und Gerechtigkeit zusammengesetzt werden. Ein Beispiel: Eine Gruppe besteht aus zwei Mädchen und zwei Jungen, davon ein leistungsstarker, zwei mittelstarke und ein leistungsschwacher Schüler. So wird sowohl der individuelle Förderbedarf berücksichtigt als auch das gemeinschaftliche Lernen gestärkt.
Deutlich wird dabei: Individualisierung kann nicht nur auf der Ebene der einzelnen Lehrkraft gedacht werden. Sie ist eine Frage der Organisation von Schule insgesamt. Entscheidende Fragen betreffen daher die strukturellen Rahmenbedingungen: Wie sehen die Räume aus? Wie flexibel ist die Zeitstruktur (z. B. 45-Minuten-Takt vs. 60-Minuten-Stunden)? Welche digitalen Voraussetzungen sind gegeben? In vielen Schulen fehlt es noch an grundlegendem WLAN oder digitalen Endgeräten – wie soll unter solchen Bedingungen digital differenzierter Unterricht gelingen?
Fazit: Individualisierung ist ein pädagogisches Gebot in einer pluralen Gesellschaft, aber kein Allheilmittel. Sie steht in einem Spannungsverhältnis zur sozialen Integration und muss in gemeinschaftliche Lernprozesse eingebettet bleiben. Die entscheidende Aufgabe liegt darin, individuelle Lernwege in kollektive Bildungsräume einzubinden – und dafür braucht es nicht nur engagierte Lehrkräfte, sondern vor allem strukturelle Reformen auf Ebene der Schule, der Schulträger und der Bildungspolitik.