Bunt sind schon die Wälder...
Die Idee zu dieser Kunststunde entstand ganz spontan, nachdem ich im Musikunterricht das Lied „Bunt sind schon die Wälder“ eingeführt hatte. Das Lied blieb mir im Ohr, und während ich die Materialien für eine herbstliche Kunststunde vorbereitete, summte ich es vor mich hin und plötzlich war der Gedanke da: Bunt sind schon die Wälder! So entstand die Idee, den Herbst mit all seinen Farben, Formen und Strukturen nicht nur musikalisch, sondern auch künstlerisch erfahrbar zu machen. Der Herbst bietet sich dafür besonders an: überall leuchten warme Farbtöne.
Bevor die Stunde beginnt, werden auf einem Tuch die „Schätze des Waldes“ ausgebreitet – Kastanien, bunte Blätter in Rot-, Gelb- und Orangetönen, kleine Zweige, rote Beeren und Hagebutten. Diese Materialien bilden nicht nur die Grundlage der späteren Bildgestaltung, sondern auch den sinnlichen Einstieg in das Thema. Sie dienen als Farbinspiration und als reale Beobachtungsobjekte für die zeichnerische Arbeit. Das schwarze Kartonpapier sorgt später dafür, dass die warmen Farben des Herbstes besonders leuchten. Wachsmalstifte in Rot, Orange, Gelb und Braun sowie Schaschlikspieße oder Holzstäbchen zum Kratzen ergänzen die Materialien. Und natürlich dürfen gute Laune, Neugier und Entdeckerfreude nicht fehlen.
Zu Beginn der Stunde betrachten die Kinder gemeinsam die ausgebreiteten Naturmaterialien. Im Gespräch geht es um die Jahreszeit Herbst, um Veränderungen in der Natur und um die Farben, die im Kreis zu finden sind. Die Lehrperson lenkt den Blick der Kinder gezielt auf Details: die Form der Blätter, ihre gezackten Ränder, die feinen Adern oder die glatte, glänzende Oberfläche einer Kastanie. So werden die Kinder zum genauen Hinschauen angeregt und beginnen, Unterschiede und Besonderheiten bewusst wahrzunehmen. Die Stunde knüpft hier an die natürliche Neugier der Kinder an und schult gleichzeitig ihre Beobachtungsgabe.
Im nächsten Schritt wird der Malprozess erklärt und gezeigt. Zunächst füllen die Kinder ihr Blatt vollständig mit kräftigen Herbstfarben: Rot, Gelb, Orange und Braun. Dabei lernen sie, den gesamten Bildraum zu nutzen und mit Farbe großzügig umzugehen. Diese Farbschicht wird anschließend vollständig mit einer dunkleren Farbe – zum Beispiel Rotbraun – übermalt. Dieser Schritt wirkt zunächst befremdlich, denn das bunt leuchtende Herbstbild verschwindet unter einer dunklen Fläche. Doch genau hier beginnt der Zauber: Mit einem Holzstäbchen oder Schaschlikspieß werden Linien und Flächen aus der dunklen Schicht herausgekratzt, sodass die darunterliegenden Farben wieder sichtbar werden. So entsteht ein lebendiges, farbiges Linienbild – eine Mischung aus Zeichnung und Malerei, bei der das Kratzen selbst zum kreativen Akt wird. Die Kinder erleben, dass man auf ganz unterschiedliche Weise „malen“ kann – nicht nur mit einem Stift, sondern auch, indem man Farbe wieder entfernt.
Bevor es ans Freikratzen geht, erhält jedes Kind eine kleine Sammlung von Herbstgegenständen: zwei Blätter, eine Kastanie, eine Hagebutte und eine Beere. Diese dienen als Vorlage für die Kratzzeichnung. Die Kinder sollen die Dinge genau betrachten und versuchen, sie möglichst wirklichkeitsnah darzustellen. Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern um Aufmerksamkeit. Die Lehrperson erinnert die Kinder daran, genau hinzuschauen: Wie ist die Form des Blattes? Ist der Rand glatt oder gezackt? Wie verlaufen die Adern? Wie bekommt man es hin, dass das Blatt Struktur zeigt? Diese Fragen helfen, den Blick zu schulen und die Wahrnehmung zu vertiefen. Je nach Alter der Kinder kann auch gemeinsam besprochen werden, wie man Strukturen zeichnerisch umsetzt – etwa durch Linien, Punkte oder Schraffuren. Um die Beobachtung noch zu vertiefen, können auch Nahaufnahmen von Blättern oder Kastanien gezeigt werden, eventuell sogar unter dem Mikroskop. Solche Momente des Staunens führen die Kinder in eine Haltung des genauen, neugierigen Schauens, die für das künstlerische Arbeiten grundlegend ist.
Dann beginnt der eigentliche Malprozess. Die Kinder übertragen das Gesehene auf ihr Bild: Sie kratzen Linien, Konturen und Strukturen in die dunkle Wachsschicht und lassen so die leuchtenden Farben des Herbstes wieder erscheinen. Schritt für Schritt entstehen farbige Blätter, glänzende Kastanien oder kleine Beeren – jedes Werk einzigartig und Ausdruck einer individuellen Wahrnehmung. Der Moment, in dem die verborgenen Farben sichtbar werden, ist für viele Kinder besonders faszinierend. Er veranschaulicht auf sinnliche Weise, dass Schönheit oft im Verborgenen liegt und erst durch eigenes Tun sichtbar wird.
Während des Arbeitens begleitet die Lehrperson die Kinder, gibt kleine Hinweise und beantwortet Fragen anhand der vorliegenden Materialien. Besonders wichtig ist es, die Kinder darin zu unterstützen, ihre Beobachtungen mit der zeichnerischen Umsetzung zu verbinden. Der Fokus liegt nicht auf einem perfekten Ergebnis, sondern auf dem genauen Hinsehen, dem mutigen Ausprobieren und dem bewussten Umgang mit Farbe und Form.
Am Ende der Stunde werden die fertigen Werke gemeinsam betrachtet. Die Kinder dürfen erzählen, was sie gemalt und entdeckt haben: Welche Farben unter der dunklen Schicht sichtbar wurden, welche Formen ihnen aufgefallen sind und was sie vielleicht überrascht hat. In diesem abschließenden Gespräch werden Wahrnehmung, Ausdruck und Sprache miteinander verbunden. Es entsteht ein kleiner Moment der Wertschätzung – für das eigene Werk, für die Natur und für den kreativen Prozess.