
Baukultur im Kunstunterricht der Grundschule
Was ist eigentlich Baukultur?
Baukultur beschreibt die Art und Weise, wie wir Menschen unsere Umwelt gestalten, wahrnehmen und mit ihr umgehen. Sie betrifft alles, was uns umgibt: Häuser, Straßen, Plätze, Brücken, Schulen, Spielplätze oder Landschaftsräume. Baukultur ist also weit mehr als nur Architektur. Sie ist Ausdruck unserer Kultur, unseres Zusammenlebens und unserer Haltung zur Umwelt.
Sie entsteht dort, wo Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen, um ihre Umgebung bewusst, ästhetisch und nachhaltig zu gestalten. Sie verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn jedes Bauwerk erzählt etwas über die Zeit, in der es entstanden ist.
Baukultur umfasst:
- Architektur und Infrastruktur: Alles, was Menschen bauen, planen und nutzen.
- Geschichte und kulturelles Erbe: Jede Kultur hat ihre eigene Bauweise und ihre eigenen Symbole.
- Mensch und Gemeinschaft: Wie wir miteinander leben und Räume gemeinsam nutzen.
- Zukunft und Wandel: Wie wir unsere Umwelt unter veränderten Bedingungen weiterentwickeln.
Baukultur heißt:
- Wahrnehmen und Verstehen, wie Räume wirken und gestaltet sind.
- Reflektieren, wie Architektur und Umgebung unser Wohlbefinden und unser Zusammenleben beeinflussen.
- Aktiv Handeln, also Verantwortung übernehmen, mitgestalten und die Zukunft bewusst formen.
Baukultur im Bildungsbereich
Baukultur bedeutet in der Schule mehr als das bloße Betrachten von Gebäuden. Sie bedeutet, Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihre Umgebung aktiv mitzugestalten (kritisch, bewusst und verantwortungsvoll).
Gerade im Hinblick auf aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel, den Erhalt der Natur oder das nachhaltige Bauen gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung. Ziel ist es, junge Menschen zu sensibilisieren, dass jeder Mensch Teil einer gestalteten Umwelt ist und dass diese Umwelt nur dann lebenswert bleibt, wenn wir sie mitdenken und mitgestalten.

Fachwerkhäuser - Ein Denkmal lebt, wenn es Fragen stellt
Fachwerkhäuser als lebendige Zeugnisse unserer Geschichte
Alte Balken, weiße Wände, ein schiefes Dach… und doch steht es seit Jahrhunderten fest: das Fachwerkhaus. Es erzählt Geschichten aus einer Zeit, in der Menschen noch mit den Händen bauten, Holz aus der Umgebung nutzten und jedes Haus ein Unikat war. In dieser fächerübergreifenden Unterrichtseinheit in Kunst und Heimat- und Sachunterricht (HSU) begeben sich die Schülerinnen und Schüler auf eine Entdeckungsreise zu diesen besonderen Bauwerken. Sie lernen, das Fachwerkhaus als „lebendiges Denkmal“ zu verstehen: Als Bauwerk, das Geschichte, Handwerk und Nachhaltigkeit in sich trägt und die Frage aufwirft: Warum ist es wichtig, alte Häuser zu erhalten?
Einstieg: Alte Häuser – neue Fragen
Die Einheit beginnt mit einem sinnlich-ästhetischen Zugang: Zwei Bilder werden vorne an die Tafel projiziert: Eines zeigt ein Dorf mit alten Fachwerkhäusern, das andere eine moderne Großstadt mit Glasfassaden und Hochhäusern.
„Was siehst du? Was denkst du? Was fühlst du?“
Diese drei Leitfragen eröffnen das Gespräch.
Während die Kinder ihre Eindrücke äußern, entstehen lebendige Diskussionen: „Das sieht gemütlich aus“, „Dort ist bestimmt viel los“, „Das ist alt, aber schön“. Anschließend folgt die Frage: „Wo würdest du lieber wohnen und warum?“ Die Antworten reichen von „weil es dort ruhiger ist“ bis zu „ich mag das viele Licht und die hohen Häuser“.
Diese emotionalen und persönlichen Zugänge sind bewusst gewählt. Sie öffnen den Blick für die Vielfalt an Lebensräumen und wecken Neugier auf das Thema: „Diese besonderen Häuser nennt man Fachwerkhäuser.“
Alle Eindrücke, Antworten und Bilder werden in einem Leporello festgehalten, das die Kinder während der gesamten Einheit begleiten wird: Ein wachsendes Forschertagebuch.
Entdecken: Was ist ein Fachwerkhaus?
Im nächsten Schritt betrachten die Kinder verschiedene Fachwerkhäuser aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Die Lehrperson zeigt Bilder, vom fränkischen Bauernhaus bis zur norddeutschen Giebelwand, und lässt die Kinder beschreiben, was ihnen auffällt.
„Da sind viele dunkle Balken!“, „Die Wände sind weiß!“, „Das Dach ist schräg!“
Schnell erkennen die Schülerinnen und Schüler typische Merkmale. Gemeinsam werden Begriffe gesammelt: Holz, Balken, Muster, alt, stabil, schön.
Ein wichtiger Gesprächsimpuls lautet: „Warum sehen die Häuser überall ein bisschen anders aus, obwohl sie alle Fachwerkhäuser sind?“ Die Kinder entwickeln Hypothesen: „Vielleicht gab es nicht überall das gleiche Holz“ oder „weil die Menschen unterschiedlich gebaut haben“.
Auch hier ergänzen sie ihr Leporello mit kleinen Fotos und ihren Beobachtungen: Jedes Kind beginnt, das eigene Denkmalwissen zu gestalten.
Forschen und Bauen: Der Aufbau eines Fachwerkhauses
Nun schlüpfen die Kinder in die Rolle von Baumeisterinnen und Baumeistern. Die Lehrperson zeigt ein vereinfachtes Modell oder eine Zeichnung eines Fachwerkhauses. Schritt für Schritt wird erarbeitet, welche Teile das Haus stabil machen und wie sie zusammenwirken.
Ein Forscherauftrag lenkt das Denken: „Was braucht so ein Haus, damit es nicht umfällt?“
Anhand des Modells lernen die Kinder zentrale Bauelemente kennen: Schwelle, Ständer, Riegel, Streben, Rähm und Gefach und ordnen die Begriffe an der Zeichnung zu. Die Erkenntnisse werden zeichnerisch im Leporello festgehalten: kleine Skizzen, Beschriftungen, kurze Notizen.
Experimentieren: Warum steht das Haus so fest?
In der zweiten Doppelstunde wird geforscht und gebaut. Mit Eisstielen, Holzspießen oder Strohhalmen konstruieren die Kinder kleine Modelle. Zuerst bauen sie nur mit senkrechten und waagerechten Balken (…) das Ergebnis: wackelig!
Dann fügen sie schräge Streben hinzu und plötzlich wird das Mini-Haus stabil.
Ein leuchtender Moment der Erkenntnis: „Die schrägen Balken machen das Haus stark!“ So erfahren die Kinder auf spielerische Weise ein physikalisches Prinzip: Stabilität durch Dreiecksformen!
Das kleine Experiment wird ebenfalls im Leporello dokumentiert: eine Skizze, ein kurzer Satz, vielleicht ein Foto.
Vergleichen und Diskutieren: Früher vs. heute
Im Anschluss folgt ein Vergleich: Ein Fachwerkhaus steht einem modernen Betonhaus gegenüber. Sie sprechen über Materialien, Formen, Nachhaltigkeit und Kosten.
Gemeinsam erstellen sie ein Pro-und-Contra-Plakat:
- Schön, gemütlich, natürlich – dafür!
- Aufwendig, teuer, schwierig zu heizen – dagegen!
Im Gespräch erkennen sie, dass Fachwerkhäuser nicht nur alte Bauwerke sind, sondern auch Fragen an unsere Zeit stellen: Wie wollen wir heute bauen? Was bedeutet nachhaltiges Wohnen?
So wird der Bogen von Geschichte zu Gegenwart gespannt.
Exkursion: Dem Denkmal begegnen
„Was denkst du?“
Diese Frage steht auch am Anfang der Exkursion.
Die Klasse besucht ein echtes Fachwerkhaus in ihrem Dorf (oder natürlich auch in ihrer Stadt) ein denkmalgeschütztes Gebäude mit sichtbarer Geschichte.
Vor Ort dürfen die Kinder das Haus erkunden: Sie betrachten die Balken, fühlen das Holz, hören Geschichten vom Leben früher.
Ein Beobachtungsauftrag lenkt den Blick: „Woran wird erinnert? Welche Spuren der Vergangenheit sind sichtbar? Was erzählt das Haus über das Leben früher?“
Sie machen Skizzen, nehmen Abriebe von Oberflächen und notieren ihre Eindrücke. Das Fachwerkhaus wird so zum greifbaren Lernort und ist ein Stück lebendige Geschichte.
Was ist ein Denkmal?
Zurück im Klassenzimmer folgt die Vertiefung: Was macht ein Gebäude zu einem Denkmal?
Die Lehrperson zeigt verschiedene Beispiele: Ein Kriegerdenkmal, ein Schloss, ein altes Wohnhaus.
Mit Bezug auf die Charta von Venedig (1964) wird erarbeitet: Ein Denkmal ist ein Bauwerk, das durch Geschichte, Bedeutung und Authentizität bewahrt werden soll. Es erinnert an Vergangenes und gehört zu unserem kulturellen Erbe.
Die Kinder reflektieren: „Was passiert, wenn alte Häuser abgerissen werden?“, „Wie könnte man alte Gebäude neu nutzen?“ Damit greifen sie Artikel 5 der Charta auf: Erhaltung durch Nutzung.
In einem kleinen Rollenspiel schlüpfen sie in verschiedene Rollen: Eigentümer, Bürgermeisterin, Denkmalpflegerin und diskutieren, ob ein altes Haus restauriert oder abgerissen werden soll.
So erleben sie Denkmalpflege als aktiven, verantwortungsvollen Prozess.
Ein Denkmal lebt, wenn es Fragen stellt
Zum Abschluss formulieren die Kinder Fragen, die ihr „Denkmal“ an sie richtet: „Wie wurde ich gebaut?“, „Warum bin ich krumm, aber stabil?“, „Was erzählen meine Wände über das Leben früher?“
Diese Fragen bilden die letzte Seite des Leporellos: Eine Seite des Nachdenkens und Reflektierens über die vergangenen Stunden und Erlebnisse.
Ausstellung der Leporellos
Zum Ende der Einheit werden alle Leporellos in einer kleinen Ausstellung präsentiert. Die Kinder gehen mit Stolz von Werk zu Werk, blättern in den Heften und erzählen, was sie gelernt haben.
Eltern, Lehrkräfte und Mitschülerinnen und Mitschüler können die Ergebnisse betrachten und dabei sehen, wie Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Gestalten zusammenwirken.