Ein Palast aus Eisen und Glas
Der Kristallpalast
Diese Unterrichtseinheit nimmt den Kristallpalast der Londoner Weltausstellung von 1851 als exemplarischen Ausgangspunkt, um grundlegende ästhetische, technische und gesellschaftliche Umbrüche der Industrialisierung erfahrbar zu machen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich neue Produktionsweisen, Materialien und Denkformen auf Architektur und Gestaltung auswirkten und warum Joseph Paxtons Entwurf einen radikalen Bruch mit traditionellen Bauprinzipien darstellt.
Durch einen bewusst überfordernden Bauauftrag werden die Schülerinnen und Schüler zunächst in die Problemlage des 19. Jahrhunderts versetzt: Die Anforderungen an ein riesiges, lichtdurchflutetes, schnell errichtbares und vollständig rückbaubares Gebäude machen deutlich, dass herkömmliche Bauweisen an ihre Grenzen stoßen. Diese Erfahrung bildet die Grundlage für eine reflektierte Auseinandersetzung mit den Bedingungen technischer Innovation.
Die anschließende Rezeption des Kristallpalastes eröffnet den Blick auf zentrale Merkmale industriellen Gestaltens: modulare Konstruktion, serielle Vervielfältigung, Normierung sowie den Einsatz neuartiger Materialien wie Gusseisen und Glas. In der gestalterischen Praxis wird dieser Paradigmenwechsel konkret erfahrbar, indem die Schülerinnen und Schüler selbst mit Modulen und Serien arbeiten und den Unterschied zwischen handwerklicher Einzelanfertigung und standardisierter Reproduktion nachvollziehen.
Die Einheit verbindet kunsthistorisches Wissen mit ästhetischer Erfahrung und handlungsorientierter Gestaltung. Sie fördert ein grundlegendes Verständnis dafür, dass Gestaltung immer in engem Zusammenhang mit technischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen steht und dass der Kristallpalast nicht nur ein Gebäude, sondern ein Symbol für den Beginn eines neuen Zeitalters ist.
Stundenverlauf
Einstieg: Zeitreise
(ca. 10–15 Min.)
L: „Wir reisen zurück… fast 180 Jahre. Es ist das Jahr 1850. In England verbreiten sich neue Geräusche: laute Maschinen, rauchende Lokomotiven, dampfende Fabriken. Die Industrialisierung ist in vollem Gange: Diese neuen Maschinen ersetzten die von Menschenhand gefertigten Produkte. Von allem gab es mehr, viel mehr und das sogar viel billiger und schneller…“
Überleitung zum Bauauftrag (ca. 15 Min.)
L: „Die englische Regierung plant etwas noch nie Dagewesenes: Eine Weltausstellung in London im Hydepark. Alle Länder der Welt sollen ihre neuesten Erfindungen zeigen. Dafür wird ein riesiges Gebäude gebraucht.“
Kriterien (klar an der Tafel: Für alle Kinder (während des Arbeitsauftrages) sichtbar):
- Bauzeit: 1 Jahr
- Kein Stein, kein Mauerwerk
- Abbaubar, Hydepark soll danach wieder ein Park sein
- Riesig, hell: Platz für tausende Ausstellungsstücke
- Beliebig erweiterbar
Arbeitsauftrag (Partner- oder Kleingruppenarbeit)
L: „Entwerft ein Gebäude, das alle diese Bedingungen erfüllt.“
Didaktischer Hinweis: Überforderung soll bewusst zugelassen werden. Anhand dieses Bauauftrages sollen die Kinder verstehen, wie schwierig dies vor allem noch zu dieser damaligen Zeit gewesen sein muss, solch ein Gebäude zu entwerfen und umzusetzen. (Darauf wird dann in der Reflexion genauer eingegangen.)
Reflexion: Warum ist das so schwierig? (ca. 10 Min.)
Kurzes Sammeln:
- Was war schwierig?
- Wo seid ihr nicht weitergekommen?
- Warum dauert Bauen normalerweise lange?
Überleitung zu Joseph Paxton (ca. 15 Min.)
L: „Genau daran sind fast alle Architekten gescheitert.“
( . . . )
L: „Nur einer versprach, rechtzeitig fertig zu werden. Und dieser Mensch war kein Architekt. Er war … ein Gärtner. Joseph Paxton.“
(Ggf.: Hier kann zunächst das Geheimnis des Kristallpalastes gelüftet werden und dann ggf. gefragt werden, woran dieser Palast erinnert – Gewächshaus)
Gemeinsame Erarbeitung
Rezeption: Kristallpalast (Auffälligkeiten)
(Zur Rezeption eignet sich besonders gut das Buch „Grosse Bauwerke: Die Geschichte der Architektur von Patrick Dillon; Illustrationen von Stephen Biesty, Kristallpalast S.62ff.)
(Ggf. Näheres Eingehen auf die Epoche der Industrialisierung (je nach Vorwissen der Schülerinnen und Schüler))
- Wirkung: Inspiration aus der Natur (Gewächshäuser)
- Materialien: Gusseisen + Glas (Neuheit! -> Hervorheben)
- Aufbau: Module in Standardgrößen; Schrauben & Muttern nach Norm = Aufbau wie ein riesiger Baukasten (Neuheit! -> Hervorheben)
- Transport durch Eisenbahn (Neuheit! -> Hervorheben)
- Bauzeit: Nicht einmal ein Jahr
Gestalterische Kernaufgabe: Modul & Serie
(ca. 30–35 Min.)
Aufgabe 1: Modul verstehen (Einzelarbeit, ca. 10 Min.)
Die SuS:
- Zeichnen ein einfaches Eisenmodul
- achten auf klare Linien, gleiche Maße.
Aufgabe 2: Serie erfahren: Händisch vs. Vervielfältigung (ca. 10–15 Min.)
- Das Modul wird 8–10-mal…
- … Gezeichnet (nebeneinander)
- … Und danach mit einfachem Stempel / Schablone gedruckt bzw. nachgefahren
Reflexion: Sammeln von Erkenntnissen
- Was fällt auf (Unterrichtsgespräch)
- : Bei der Schablone/beim Druck sehen alle Module gleich aus
- SuS bspw.: „Das ging viel schneller“
- …
Aufgabe 3: Eigene Architektur aus Modulen (ca. 10 Min.)
- Die Module, welche gedruckt wurden bzw. mit der Schablone gezeichnet wurden, werden nun ausgeschnitten und mittels Zahnstocher stabiler gemacht. Diese können dann (mit Knete (bspw.)) auch noch miteinander verbunden werden.
Abschluss & Reflexion (5–10 Min.)
Gesprächsimpulse:
- Was war neu am Kristallpalast?
- Warum war er ein Zeichen eines neuen Zeitalters?
- Warum wäre dieses Gebäude früher unmöglich gewesen?